Mobilität & Logistik
Inhalt
Das Kapitel „Mobilität & Logistik“ von Labor Tempelhof 2022 finden Sie hier.
1. Allgemein & Problemstellung
Wusstest du, dass…
…20 % aller Treibhausgasemissionen in Deutschland 2022 auf die Kappe von Mobilität und Logistik gingen? 4
Bei Veranstaltungen ist der Anteil noch höher. Im Schnitt gehen bis zu 80 % der CO₂-Emissionen einer Veranstaltung im Freien auf das Konto des Publikums aufgrund des gewählten Verkehrsmittels bei der An- und Abreise: Fahrrad ist besser als ÖPNV ist besser als Auto ist besser als Fliegen. Die personelle Auslastung eines Fahrzeugs senkt die Emissionen, das heißt: Fahrgemeinschaften bei Anreise mit dem Auto, Bus und Co. sind ausdrücklich erwünscht. 5
Die Herausforderung des Themas liegt darin, dass die Mobilität des Publikums nur bedingt im Einflussbereich der Veranstaltenden und Bands liegt und somit nur indirekt beeinflusst werden kann. Ganz anders sieht das bei der Veranstaltungs- und Tourlogistik aus. Auch auf Produktions- und Bandseite sollte also auf eine klimafreundliche Anreise und Logistik gesetzt werden. Um Emissionen zu senken und nicht zuletzt, um Vorbild zu sein und glaubwürdig zu bleiben.
2. Unsere Messlatte für Labor Tempelhof
Um die Labor Tempelhof-Konzerte möglichst klimapositiv umzusetzen, haben wir diese Aspekte zum Ziel genommen:
MOBILITÄT
- Flugreisen (vor allem für Kurzstrecken) aus der Band- und Crewlogistik streichen.
- Anreise Crew mit Zug (Anreiz Bahncards/Deutschlandticket), elektrische Tourbusse/Pkw/Shuttles.
- Optimieren: effizientes Tour-Routing.
- Sharing is Caring: Je mehr Personen pro Fahrzeug – egal ob Auto oder (Tour)Bus – desto weniger pro Kopf Emissionen werden verursacht. Dies gilt sowohl für Bands, Crew, als auch für das Publikum.
- ÖPNV-Ticket im Konzertticket inkludieren.
- Im Idealfall: Kooperation mit der Deutschen Bahn für Fernzüge via DB Veranstaltungsticket.
- Kommunikation zu klimafreundlichen Optionen für die Anreise (Fahrrad, ÖPNV, Fernzüge) gegenüber dem Publikum (z.B. via Ticket-Mailing, Webseiten von Veranstaltenden/Bands oder Social Media sowie Event-Apps, wenn vorhanden).
- Kostenlose und nach Möglichkeit betreute Fahrradparkplätze anbieten.
LOGISTIK
- Tourlogistik: Effizientes Routing und möglichst nachhaltig angetriebene Lkw.
- Bewusstsein bei Künstler*innen und Produktion für den effektiven und effizienten Einsatz von Materialien schaffen. (Enthalten Materialien schädliche Inhaltsstoffe? Sind sie kreislauffähig? Welches Setup wird für die Veranstaltung wirklich benötigt? etc.)
- Inwiefern kann auf bereits vorhandene örtliche Strukturen zurückgegriffen werden, um Transporte zu sparen?
- Vor Ort auf E-Fahrzeuge und -Maschinen (Stapler, Radlader etc.) sowie Lastenräder setzen.
- Bei der Beschaffung von Gütern auf Regionalität achten, um Transportstrecken kurz zu halten.
3. Was lief gut, was geht besser?
Mobilität
Was lief gut?
- Kommunikation zu nachhaltiger Anreise im Vorfeld (z.B. Förderung von Fahrgemeinschaften, Information über kostenfreie/komfortable Fahrradparkplätze usw.)
- Anreise mit dem ÖPNV im Konzertticket inkludiert und gegenüber den Besuchenden kommuniziert.
- Digitale Umfrage zum Anreiseverhalten des Publikums, um das Mobilitätskonzept passgenau zu optimieren.
- Erweiterung des kostenlosen Fahrradparkplatzes am Konzertgelände: komfortablere Gestaltung, bessere Beschilderung, Bereitstellung Fahrradpumpen.
- Ausgewiesene Publikumsparkplätze für Pkw ausschließlich für Menschen mit Behinderung, die möglichst nah an den Einlässen für kurze Wege geplant sind.
- Stark begrenzte Anzahl an Backstage-Parkplätzen, Bereitstellung nur in Ausnahmefällen (z.B. bei umfangreichem Material der Rigging-Spezialist*innen).
- Komplette Vermeidung von Flugreisen bei Bands & Crew.
- Ausschließlich E-Shuttles für Bands & Tour-Crew.
- Bahnreisen für Bands & Tour-Crew.
- Empfehlung nachhaltig zertifizierter Hotels in Publikumskommunikation & Unterbringung der Crew und Gewerke in nachhaltig zertifizierten Hotels
- Ausgewiesene Abstellflächen für Mikromobilität (E-Roller, Sharing Bikes, usw.)
- Ausgleich von nicht vermeidbaren Reise-Emissionen von Publikum und Produktion via Kompensation durch die Klimaschutzorganisation atmosfair.
Was geht besser?
- Kooperation mit Plattform (oder App), um Pkw-Mitfahrgelegenheiten oder gemeinsame Busanreise für Publikum zu ermöglichen.
- Kooperationen mit Flix oder DB zu Veranstaltungsticket bislang gescheitert
- Kooperation mit Anbietenden innerstädtischer E-Mobilität
Logistik
Was lief gut?
- Einsatz von E-Staplern auf dem Konzertgelände (mit nur einer Ausnahme eines Geländestaplers).
- Einsatz von Lastenrädern und Mietfahrrädern für Logistik vor Ort.
- Höchste Effizienzklasse bei allen Trucks: Schadstoffklasse Euro6.
- Sicherheitsrelevante Technik außerhalb der Reichweite der Feststromanschlüsse (z.B. Licht- und Tonmasten) wurde mit HVO oder mit Akkus betrieben. Die Akkus wurden mit erneuerbarer Energie aus dem Feststromnetz geladen. Der HVO-Kraftstoff wurde bereits in der benötigten Menge in die Masten eingefüllt angeliefert, um Restmengen zu vermeiden.
Was geht besser?
- Zukünftige Erweiterung um E-LKW6 und E-Nightliner.
- Kooperation mit Stapler-Verleihfirmen, um den Einsatz von HVO in dieselbetriebenen Staplern zu testen und auf Materialverträglichkeit, z.B. bei Kontakt mit Dichtungen, zu prüfen.
4. Erkenntnisse & Empfehlungen
- Mobilität ist der größte direkte Hebel, um CO₂ einzusparen, insbesondere bei der Publikumsanreise und in der Tournee-Logistik. Jedoch teilweise nur indirekt beeinflussbar.
- 64,8 % des Publikums reisten mit dem Zug, dem ÖPNV, zu Fuß oder mit dem Rad an. Bei konventionellen Events liegt dieser Anteil bei rund 40 %7. Dadurch konnten rund 2.390 Tonnen CO₂-Emissionen eingespart werden.
- ÖPNV-Ticket in das Veranstaltungsticket integrieren, um Anreiz zu setzen.
- Bei der Auswahl des Veranstaltungsortes auf eine gute Verkehrsanbindung achten (S-Bahn, U-Bahn, Bahnhof, Bushaltestelle).
- Info zum inkludierten ÖPNV-Ticket via Ticket-Anbietende und Veranstaltende an Käufer*innen kommunizieren
- 32,9 % des Publikums wählten das Auto zur Anreise. 49,2 % der gesamten Mobilitäts-Emissionen sind auf die Pkw-Anreisen zurückzuführen. Die Fahrzeugbelegung von 2,79 Personen pro Fahrt ist positiv zu bewerten – fast drei Menschen teilten sich im Durchschnitt ein Fahrzeug.
- Parkplätze ausschließlich für Menschen mit Behinderung in der Nähe des Einlasses planen
- Fahrgemeinschaften fördern, ggf. über Kooperationen mit Plattformen (oder App) für Pkw-Mitfahrgelegenheiten oder gemeinsame Busanreise
- 2,3 % des Publikums haben sich für das Flugzeug als Anreisemittel entschieden. 25,6 % der gesamten Mobilitäts-Emissionen sind auf die Flugreisen zurückzuführen.
- Die Einbindung des Fernverkehrs ist notwendig, beispielsweise durch attraktive Veranstaltungstickets. Hier sind die Anbietende gefragt, sich stärker einzubringen und z.B. ihre Angebote für Veranstaltungstickets auch für die Kultur- und Veranstaltungsbranche (zusätzlich zu den vorhandenen “Business”-Angeboten für Konferenzen, Kongresse usw.) verfügbar zu machen.
- Nachhaltige Anreise als Fokus der Publikumskommunikation aufnehmen, um den Anteil von Flugreisen (vor allem Kurzstrecke) zu reduzieren.
- Einen kostenfreien Fahrradparkplatz mit rund 4.000 Stellplätzen anzubieten hat sich gelohnt, er war bei gutem Wetter gut ausgelastet.
- Kapazitäten für Fahrradstellplätze saison- und wetterabhängig großzügig planen.
- Abstellmöglichkeit frühzeitig bewerben, zum Beispiel auf Webseiten von Veranstaltenden, Bands etc.
- Nützliches Fahrradzubehör kostenlos zur Verfügung stellen, z.B. Luftpumpen etc.
- Die Kommunikation zur nachhaltigen Anreise spielt eine zentrale Rolle. Die richtigen Botschaften zur richtigen Zeit auf den richtigen Kanälen zu kommunizieren, unterstützt den Erfolg des nachhaltigen Mobilitätskonzeptes.
- Die Mobilitätsumfrage hat gezeigt, dass wir mit unserer Kommunikation rund 75 % des Publikums erreicht haben, jedoch war der Effekt auf das tatsächliche Verhalten der Zielgruppe deutlich geringer als erwartet.
- Ein möglicher Grund hierfür könnte die Diskrepanz von zeitlicher Nähe der Kommunikation zur Reiseentscheidung sein. Eine langfristig angelegte Kommunikationskampagne kann dem entgegenwirken.
- Alle vorhandenen Ansprachemöglichkeiten an Ticketkäufer*innen zur Anreise nutzen.
- Künstler*innen können durch Ansagen Bewusstsein schaffen.
- Kenntnisse der Datenlage zum Anreiseverhalten des Publikums gewinnen, um passendere Angebote für eine nachhaltige Anreise analysieren und schaffen zu können:
- Mobilitätsverhalten beim Publikum durch Umfragen vor Ort (zum Beispiel am Eingang via QR-Code) abfragen.
- Kooperationen mit bestehenden Plattformen wie Mitfahrvermittlungen eingehen, eine eigene App für Pkw-Mitfahrgelegenheiten oder gemeinsame Busanreise schaffen… wichtig dabei ist eine frühzeitige Kommunikation dieser Maßnahmen.
- Das im Konzertzeitraum angebotene 49-Euro Ticket (Deutschlandticket) trug dazu bei, dass Crew und Mitarbeitende dennoch günstig mit dem ÖPNV anreisen konnten.
- Wenn es keine günstigen Ticket-Angebote gibt: frühzeitig Gespräch mit ÖPNV-Anbietenden suchen.
- Kosten für Mitarbeitenden-Tickets ggf. in das Budget einplanen.
- Besondere Anforderungen von E-Fahrzeugen in der Produktion bedenken
- Briefings und Schulung der entsprechenden Mitarbeitenden in der Produktion zu E-Fahrzeugen und Lademöglichkeiten vor Ort.
- Einsatz und Ladezeiten von E-Fahrzeugen möglichst genau planen.
- Vor allem im Bereich Schwerlast gibt es momentan nicht ausreichend klimaneutral betriebene Lkw (Elektro, Brennstoffzelle) oder auch Kräne auf dem Markt.
- Bei der Auswahl von Lieferant*innen für die Infrastruktur der Veranstaltung auf kurze Lieferwege achten, z.B. durch die Auswahl von regionalen Dienstleistenden.
- Frühzeitig verfügbare Lkw mit höchster Schadstoffklasse (derzeit Euro VI) sichern.
- Zertifikate, Informationen zu eingesetzten Kraftstoffen (HVO, Bio-Diesel, Wasserstoff) abfragen und einfordern.
- Idee: Mit Lkw-/Bus-Herstellern frühzeitig ins Gespräch gehen, ob sie verfügbare elektrisch angetriebene Logistikfahrzeuge im Rahmen eines gemeinsamen Pilotprojekts zur Verfügung stellen.
- No Fly Policy ist effektiv und gut umsetzbar bei Konzerten im Inland
- Policy frühzeitig an Crew und Band/Künstler*innen kommunizieren und Wahl der Bahn als Verkehrsmittel begründen
5. Kontakte Dienstleistende
- ÖPNV Berlin: Berliner Verkehrsbetriebe BVG
- Fahrradparkplätze: Bike Parking
- Mobilitätsumfrage: Crowd Impact App
- Kompensation unvermeidbarer Anreise-Emissionen: atmosfair8
- Trucks: Trucking Service (Euro VI-Lkw)
- E-Shuttles für Band/Crew: Spaceshuttle
- E-Stapler: Trafö/Linde
- E-Golfcarts: Divaco
- E-Smarts: Starcar
- Alternativer Treibstoff: ToolFuel
6. Weitere Inspiration aus der Branche
Auch andere Veranstaltende, Bands, Tour- und Nachhaltigkeitsagenturen setzen sich mit dem Thema auseinander und versuchen, nicht nur ihr eigenes Reiseverhalten zu ändern, sondern auch indirekt das Publikum positiv zu beeinflussen:
Massive Attack setzen sich seit 2019 mit ihrem ACT 1.5-Projekt für die Dekarbonisierung der Live-Musik-Branche ein. Ziel ist es, die CO₂-Emissionen von Konzerten und Tourneen auf ein Niveau zu reduzieren, das mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens vereinbar ist. In Zusammenarbeit mit dem Tyndall Centre for Climate Change Research haben sie ein zweistufiges Modell entwickelt. In Phase 1 wurde ein Outdoor-Konzert in Bristol veranstaltet, das als eines der CO₂-ärmsten Konzerte seiner Größe gilt. Phase 2 konzentriert sich auf die Stadt Liverpool, die von den Vereinten Nationen als erste „Accelerator City“ anerkannt wurde, da sie innovative Maßnahmen zur Reduktion von Emissionen in der Musik- und Filmproduktion umsetzt. 9
Coldplay haben im Zuge ihrer “Music Of The Spheres” Welttournee gemeinsam mit SAP eine App entwickelt und den Fans zur Verfügung gestellt: Die App kombiniert interaktive, immersive Erlebnisse mit Informationen. So konnte das Publikum zwischen verschiedenen Anreise-Optionen wählen und sehen, wie viel CO₂ bei welcher An- und Abreiseform entsteht. Um ihre Fans hin zu umweltfreundlicherer Mobilität zu bewegen, haben Coldplay diese mit dem Anreiz von Merchandise Rabatten verbunden. Gleichzeitig konnten in der App interaktive Spiele mit Nachhaltigkeitsschwerpunkt gespielt werden, in denen man mehr über Coldplays Bemühungen rund um Nachhaltigkeit lernte. 10
Ticket to Ride ist ein Projekt, das im Rahmen der AnnenMayKantereit-Sommertour 2023 durch Crowd Impact und The Changency entwickelt wurde, um das Publikum zu nachhaltigerer Mobilität anzuregen. Insgesamt 10 Konzerte mit rund 215.000 Besuchenden standen im Fokus dieser Kommunikations- und Aktionskampagne, die darauf abzielte, die möglichst klimafreundliche Anreise der Fans zu fördern. Dabei wurde die Umfrage-App Crowd Impact genutzt, um das Mobilitätsverhalten des Konzertpublikums zu erfassen und wertvolle Daten zu sammeln, um diese im Rahmen der Studie zu veröffentlichen. Die Ergebnisse wurden im Frühjahr 2024 bei einem runden Tisch mit Entscheidungsträger*innen aus der Musik- und Veranstaltungsbranche, Verkehr, Politik und Wissenschaft diskutiert, um weitere Schritte in Richtung nachhaltiger Mobilität in der Eventbranche zu erarbeiten. 11