1. Allgemein & Problemstellung
Wusstest du, dass…
…rund ⅕ der CO₂-Emissionen in Deutschland 2021 auf die Kappe von Mobilität und Logistik gingen? 4
Bei Veranstaltungen ist der Anteil noch höher. Im Schnitt gehen 80 % der CO₂-Emissionen einer Veranstaltung im Freien auf das Konto des Publikums aufgrund des gewählten Verkehrsmittels bei der An- und Abreise: Fahrrad ist besser als ÖPNV ist besser als Auto ist besser als Fliegen. Die personelle Auslastung eines Fahrzeugs senkt die Emissionen, das heißt: Fahrgemeinschaften bei Anreise mit dem Auto, Bus und Co. sind ausdrücklich erwünscht.5
Die Herausforderung des Themas liegt darin, dass die Mobilität des Publikums nur bedingt im Einflussbereich der Veranstalter*innen und Bands liegt und somit nur indirekt beeinflusst werden kann. Ganz anders sieht das bei der Veranstaltungs- und Tourlogistik aus. Auch auf Produktions- und Bandseite sollte also auf eine klimafreundliche Anreise und Logistik gesetzt werden. Um Emissionen zu senken und nicht zuletzt, um Vorbild zu sein und glaubwürdig zu bleiben.
Fazit: Je größer eine Veranstaltung, desto größer ist der Hebel von Mobilität und Logistik für die CO₂-Reduktion.
2. Unsere Messlatte für Labor Tempelhof
Um die Labor Tempelhof-Konzerte möglichst klimapositiv umzusetzen haben wir diese Aspekte zum Ziel genommen:
MOBILITÄT
- Umdenken: Flugreisen (vor allem für Kurzstrecken) aus dem Band- und Crewbudget ausklammern
- Anreise Crew mit Zug (Anreiz Bahncards/Deutschlandticket), elektrischen Tourbussen/Pkw/Shuttles
- Optimieren: effizientes Tour-Routing mit Schwerpunkt auf Ballungszentren und Großstädte
- Sharing is Caring: Je mehr Personen pro Fahrzeug – egal ob Auto oder (Tour)Bus – desto weniger pro Kopf Emissionen werden verursacht. Dies gilt sowohl für Bands, als auch für das Publikum.
- ÖPNV Ticket im Konzertticket inkludieren, ggf. Kooperationen mit der Bahn zu Event-Ticket
- Kommunikation zu klimafreundlichen Anreise-Optionen (Fahrrad, ÖPNV) gegenüber dem Publikum (z. B. via Webseiten von Veranstaltenden/Bands oder Social Media sowie Event-Apps, wenn vorhanden)
- Kostenlose und nach Möglichkeit betreute Fahrradparkplätze anbieten
LOGISTIK
- Tourlogistik: Möglichst effizientes Routing und möglichst nachhaltig angetriebene Lkw
- Awareness bei Künstler*innen und Produktion hinsichtlich Materialeffizienz schaffen (welches Setup wird wirklich benötigt?)
- Inwiefern kann auf örtliche Strukturen zurückgegriffen werden, um Transporte zu sparen?
- Vor Ort auf E-Fahrzeuge (Stapler, Radlader etc.) oder Lastenräder setzen
- Bei der Beschaffung von Gütern auf Regionalität achten, um Transportstrecken kurz zu halten.
3. Was lief gut, was geht besser?
Mobilität
Was lief gut?
- Anreise mit dem ÖPNV im Konzertticket inkludiert und gegenüber den Besuchenden kommuniziert.
- Kostenloser, betreuter Fahrradparkplatz direkt am Konzertgelände und Kommunikation per Webseite der Veranstalter*innen und via Bands.
- Zusammenarbeit mit Jelbi (Mobilitäts-App für die beste Route + Verkehrsmittel inklusive Sharing Optionen in Berlin) für Besucher*innen.
- Ausgewiesene Parkplätze für Pkw von Besuchenden vor Ort ausschließlich für Menschen mit Behinderung.
- Ausgleich der nicht vermeidbaren Reise-Emissionen von Publikum und Produktion via Kompensation durch die Klimaschutzorganisation atmosfair.
- Stark begrenzte Anzahl an Backstage-Parkplätzen, Bereitstellung nur in Ausnahmefällen (z.B. bei umfangreichem Material der Rigger).
- Komplette Vermeidung von Flugreisen bei Bands & Crew.
- E-Shuttles für Bands & Tour-Crew.
- Bahn-Reisen für Bands & Tour-Crew.
- Höchste Effizienzklasse bei allen Nightlinern: Schadstoffklasse Euro 6.
Was geht besser?
- Daten-Erfassung der Art der An- und Abreise statt Modellierung aufgrund von anonymisierten Ticket-Verkäufen.
- Weitere Anreize für klimafreundliche Anreise setzen, z. B. durch Gewinnspiel, Freigetränk, Rabatte für Gastro oder Merch etc.
- Plattform (oder App), um Pkw-Sharing oder gemeinsame Busanreise für Publikum zu ermöglichen .
- Bahncards für Kern Touring Crew.
Logistik
Was lief gut?
- Einsatz von E-Fahrzeugen (z. B. Shuttles, Stapler, Golfcarts, etc).
- Einsatz von Lastenrädern der fLotte Berlin für Logistik vor Ort.
- Höchste Effizienzklasse bei der überwiegenden Zahl der Trucks: Schadstoffklasse Euro6.
Was geht besser?
- 100 % E-Fahrzeuge in der Logistik – konnte aufgrund von mangelnder Verfügbarkeit noch nicht umgesetzt werden.
- Versuch des Einsatzes von HVO bei Logistik-Fahrzeugen gescheitert, da Fahrzeughersteller aufgrund fehlender Erfahrungswerte noch nicht für den Einsatz von HVO haften.
- Euro 6 bei allen Trucks sowie zukünftig Berücksichtigung von E-Fahrzeuge 6 und Nightlinern mit alternativen Antriebsarten.
4. Erkenntnisse & Empfehlungen
- Rund 80 % des Publikums reiste mit dem Zug, dem ÖPNV, zu Fuß oder mit dem Rad an. Bei konventionellen Events liegt dieser Anteil bei rund 40 %7. Dadurch konnten rund 900 Tonnen CO₂-Emissionen eingespart werden.
- ÖPNV-Ticket in das Veranstaltungsticket integrieren, um Anreiz zu setzen.
- Bei der Auswahl des Veranstaltungsortes auf eine gute Verkehrsanbindung achten (S-Bahn, U-Bahn, Bahnhof, Bushaltestelle).
- Info zum inkludierten ÖPNV-Ticket via Ticket-Anbieter und Veranstaltende an Käufer*innen kommunizieren.
- Einen Fahrradparkplatz mit rund 4.000 Stellplätzen anzubieten hat sich gelohnt, er war bei gutem Wetter komplett voll.
- Kapazitäten für Fahrradstellplätze saison- und wetterabhängig planen.
- Abstellmöglichkeit frühzeitig bewerben, zum Beispiel auf Webseiten von Veranstaltenden, Bands etc.
- Ungenaue Datenlage zum Anreiseverhalten des Publikums.
- Mobilitätsverhalten beim Publikum durch Umfragen vor Ort (zum Beispiel am Eingang via QR-Code) abfragen. Künstler*innen können durch Ansagen Awareness schaffen.
- Im Projektteam keine Kapazitäten für die Entwicklung einer Plattform (oder App) für Pkw-Sharing oder gemeinsame Busanreise für das Publikum.
- Auf am Markt vorhandene Lösungen dafür zurückgreifen oder outsourcen.
- Die Idee, auch für Mitarbeitende subventionierte ÖPNV-Tickets anzubieten, hat nicht funktioniert, da die Gespräche mit dem ÖPNV-Anbieter gescheitert sind. Das im Konzertzeitraum angebotene 9-Euro-Ticket trug dazu bei, dass Crew und Mitarbeitende dennoch günstig mit dem ÖPNV anreisen konnten.
- Wenn es keine günstigen Ticket-Angebote gibt: frühzeitig Gespräch mit ÖPNV-Anbieter suchen.
- Kosten für Mitarbeitenden-Tickets ggf. in das Budget einplanen.
- E-Fahrzeuge in der Produktion wurden teilweise über Nacht nicht aufgeladen und konnten am Folgetag nicht eingesetzt werden.
- Briefings und Schulung der entsprechenden Mitarbeitenden in der Produktion zu E-Fahrzeugen und Lademöglichkeiten vor Ort.
- Einsatz und Ladezeiten von E-Fahrzeugen möglichst genau planen.
- Aufgrund von Knappheit bei Produktionsmaterial konnten kurze Lieferwege nicht immer berücksichtigt werden.
- Bei der Auswahl von Lieferant*innen auf kurze Lieferwege achten, z. B. durch die Auswahl von regionalen Dienstleister*innen.
- Vor allem im Bereich Schwerlaster gibt es momentan kaum klimaneutral betriebene Lkw (Elektro, Brennstoffzelle) auf dem Markt.
- Frühzeitig verfügbare Lkw mit höchster Schadstoffklasse (derzeit Euro VI sichern).
- Zertifikate, Informationen zu eingesetzten Kraftstoffen (HVO, Bio-Diesel, Wasserstoff) abfragen und einfordern.
- Idee: Mit Lkw-/Bus-Herstellern frühzeitig ins Gespräch gehen, ob sie verfügbare elektrisch angetriebene Logistikfahrzeuge im Rahmen eines gemeinsamen Pilotprojekts zur Verfügung stellen.
- Trotz aller Maßnahmen wurde eine bilanziell klimaneutrale Mobilität & Logistik letztlich nur durch die zusätzliche Kompensation von Emissionen erreicht.
- Bei der Auswahl der Organisation auf Zertifizierungen (z. B. CDM Gold) und Projekte mit langfristiger Bindung von CO₂ achten.
- CO₂-Bilanz als Kostenpunkt in der Veranstaltungskalkulation als zusätzlicher Anreiz zur Emissionsreduktion.
- No Fly Policy war effektiv und gut umsetzbar.
- Policy frühzeitig an Crew und Band/Künstler*innen kommunizieren und Wahl der Bahn als Verkehrsmittel begründen.
5. Kontakte Dienstleister*innen
- ÖPNV Berlin: Berliner Verkehrsbetriebe BVG
- Fahrradparkplätze: Bike Parking & Fahrradgarderobe
- Letzte Meile: Jelbi
- Kompensation unvermeidbarer Anreise-Emissionen: atmosfair8
- Nightliner: Coach Service (für Euro VI-Busse) & Pepper Motion
- Trucks: Trucking Service (Euro VI-Lkw)
- E-Shuttles für Band/Crew: Spaceshuttle
- Lastenräder: fLotte Berlin (powered by ADFC)
- E-Stapler: Zeppelin
- E-Golfcarts: Divaco
- E-Smarts: Starcar
- Alternativer Treibstoff: ToolFuel
6. Weitere Inspiration aus der Branche
Auch andere Bands, Touragenturen und Veranstaltende setzen sich mit dem Thema auseinander und versuchen nicht nur ihr eigenes Reise-Verhalten zu ändern, sondern auch indirekt das Publikum positiv zu beeinflussen:
Massive Attack planen, ihre Tour 2023 komplett per Schiene abzudecken und setzen in der kompletten Tour-Logistik und -anreise auf den Zug. Zudem hat die Band zusammen mit dem Tyndall Centre for Climate Research einen Leitfaden für 1,5 Grad konformes Touring entwickelt, in dem viele Empfehlungen gegeben werden wie ‘Plug and Play’, also weniger Material für die gesamte Tour zu mieten und sich dafür mehr auf die Gegebenheiten in den jeweiligen Venues zu verlassen.9
Coldplay haben im Zuge ihrer “Music Of The Spheres” Welttournee gemeinsam mit SAP eine App entwickelt und den Fans zur Verfügung gestellt: Die App kombiniert interaktive, immersive Erlebnisse mit Informationen. So konnte das Publikum zwischen verschiedenen Anreise-Optionen wählen und sehen, wie viel CO₂ bei welcher An- und Abreiseform entsteht. Um ihre Fans hin zu umweltfreundlicherer Mobilität zu bewegen, haben Coldplay diese mit dem Anreiz von Merchandise Rabatten verbunden. Gleichzeitig konnten in der App interaktive Spiele mit Nachhaltigkeitsschwerpunkt gespielt werden, in denen man mehr über Coldplays Bemühungen rund um Nachhaltigkeit lernte.10
Seeed nahmen ihre Fans mit auf die (An-)Reise: Zusammen mit ihrem Publikum, einer NGO, die geflüchteten Frauen das Radfahren beibringt und einer Interessenvertretung für Fahrradfahrende radelten sie zu ihren eigenen Konzerten in Berlin – um dann vor Ort das Fahrrad kostenfrei in der bewachten Fahrradgarderobe abzugeben.11