Abfall & Nährstoffmanagement
Abfall & Nährstoff-
management
Inhalt
1. Allgemein & Problemstellung
Wusstest du, dass…
… 2021 in Deutschland rund 13 % aller Materialien in Kreisläufen geführt wurden? Für diesen Anteil mussten also keine neuen Rohstoffe gefördert werden. In Ländern mit einer bereits fortgeschritteneren Kreislaufwirtschaft wie den Niederlanden lag die Quote bei 33 %.32
Richtig genutzt, wird Abfall also immer wieder zu Nährstoff und kann als Ressource für etwas Neues verwendet werden. Das Problem: Die meisten Produkte heute sind nicht dafür geschaffen, in Kreisläufen zu zirkulieren. Sie werden also irgendwann automatisch zu Müll: ob im Alltag oder auf Großveranstaltungen.
Auf einem Festival entstehen im Schnitt 1,5 Kilogramm Müll pro Person pro Tag. Hochgerechnet auf 80.000 Personen auf einer Wiese erzeugt das riesige Müllberge. Allerdings sind 1,5 Kilogramm Müll nur 200 Gramm mehr, als wir durchschnittlich in unserem Alltag erzeugen. Aber: Zuhause achten wir viel bewusster auf Mülltrennung – und haben zudem ein mehr oder weniger funktionierendes Abfallmanagementsystem.33
Fazit: Je größer die Veranstaltung, desto mehr und desto sichtbarer ist der vor Ort anfallende Müll – und desto komplizierter ist die Trennung, auch unter Einbeziehung aller Beteiligten, vor und hinter der Bühne. Gleichzeitig ergibt sich hier ein großes Potenzial, Müll zu vermeiden und Abfälle als Ressourcen im Sinne einer Kreislaufwirtschaft zu verstehen.
2. Unsere Messlatte für Labor Tempelhof
Beim Projekt Labor Tempelhof wurde versucht, überall wo möglich, Abfall als Nährstoff für etwas Neues zu betrachten und nicht als wertlosen Müll. Das gelingt heute leider noch nicht in allen Bereichen, daher mussten wir uns an dieser Stelle auch mit einem guten Abfallmanagementsystem befassen, um den entstehenden Müll möglichst genau in unterschiedliche Fraktionen trennen zu können.
- So viele kreislauffähige Produkte wie möglich im gesamten Projekt einsetzen: In der Produktion der Konzerte, im Publikumsbereich, aber auch bei den weiteren Projektbausteinen.
- Wo zwangsläufig Abfall entsteht: So trennen, dass Wiederverwendung, Recycling, Kompostierung möglich ist. Müll vermeiden.
- Kreislaufführung von Lebensmittelresten durch Vor-Ort-Kompostierprojekt und industrielle Kompostierung. Kreislaufführung von Nährstoffen aus festen und flüssigen Reststoffen in den Toiletten, um Phosphor-Dünger und Humus herzustellen.
- Im Idealfall: Überall Mehrweggeschirr und -becher mit Pfandsystem, um Einwegabfälle zu vermeiden.
- Sichtbarkeit, Bildung und Gamification: Gut platzierte, sichtbare Abfallstationen mit einfacher und verständlicher Beschilderung und idealerweise spielerischen Elementen. Richtige Mülltrennung soll so einfach wie möglich gemacht werden.
3. Was lief gut, was geht besser?
Beim Labor Tempelhof wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen, um das Thema Abfall, Kreislaufwirtschaft und Ressourcenrückführung abzudecken:
Entsorgungskonzept Publikumsbereich:
Was lief gut?
- Erstellung eines umfangreichen Abfallkonzepts in Zusammenarbeit mit Remondis. Die Trennkategorien vor Ort im Infield für das Publikum unterteilten sich in: Speisereste, Restmüll, PET-Flaschensammlung, biologisch abbaubares Einweggeschirr.
- Vorab-Kommunikation an das Publikum via Webseite und Ticket, welche Materialien mit auf das Gelände gebracht werden dürfen.
- Bewusstseinsschaffung vor Ort durch 25 personell betreute Abfallstationen (sogenannte Nährstoffinseln). Freiwillige Botschafter*innen von C2C NGO betreuten die Abfallstationen in den Stoßzeiten, um Fehlwürfe zu minimieren und das Publikum über richtige Mülltrennung und das Kreislaufkonzept/C2C-Ziel der Konzerte aufzuklären.
- Mehrwegpfandbecher für Getränke.
- Bildungsprojekt: 24-Stunden Direktkompostierungsanlage in der kleine Mengen vegane Speisereste zu Kompost verwertet wurden.
- Einsatz von biologisch abbaubarem Einweggeschirr aus Mono-Material als Alternative zu Mehrweggeschirr. Testversuch mit dem Komposttoilettenhersteller Finizio und dem Forschungsprojekt ZirkulierBar zur Kompostierbarkeit des biologisch abbaubaren Einweggeschirrs.
- Briefing des Gastro-Dienstleisters zum Abfallkonzept zur weiteren Kommunikation an die Food-Stände.
Was geht besser?
- Zu viele Materialien landeten fälschlicherweise im Restmüll, die Fehlwurfquote an den “Nährstoffinseln” hätte insgesamt noch niedriger ausfallen können.
- Nur PET-Flaschen auf dem Gelände zulassen, keine Tetrapacks, da diese nicht recycelbar sind.
- Einsatz von Mehrweggeschirr als kreislauffähige Lösung.
- Koordination des Abfallaufkommens unmittelbar vor dem Konzertgelände. Der Anteil mitgebrachter Glas-/Pfandflaschen wurde unterschätzt.
Entsorgungskonzept Produktion, Gastronomie & Merchandise:
Was lief gut?
- Erstellung eines umfangreichen Abfallkonzepts in Zusammenarbeit mit Remondis. Die Trennkategorien im Backstage-/Produktionsbereich waren:
- Gastronomie: PPK (Papier, Pappe, Karton), Gelber Sack, Glas, Lebensmittelabfälle und Altfett, Restmüll.
- Produktion: PPK, Gelber Sack, Glas, Restmüll.
- Merchandise: Restmüll, PPK.
- Unmittelbar vor dem Veranstaltungsgelände: Glas, Restmüll.
- Gewerbehof vor Ort mit personeller Betreuung und mehreren Müllpressen.
- Trennung im Gewerbehof in neun Kategorien:
- Restmüll, Wertstoffe, Bioabfall, PPK, Glas (weiß/bunt), Speisereste, Altfett, kompostierbarer Abfall, Holz.
- Erfassung der Materialien und Stoffströme, anschließende Auswertung und Übersicht durch Remondis.
Was geht besser?
- Persönliches Gespräch/Rundgang mit Mitarbeitenden in Produktion, Food-Ständen und sonstigen Dienstleister*innen zum Abfallkonzept und den zu trennenden Materialien statt nur schriftliches Briefing.
- Bessere Beschriftung der Tonnen im Backstage-/Produktionsbereich.
- Mehrweg-Kaffeebecher im Backstage-Bereich wurden teils entsorgt oder nicht mehr zurückgebracht (Schwund von knapp 30 %). Stärkerer Fokus auf selbst mitgebrachte Mehrwegbecher oder personalisierte Becher vor Ort.
- Durchgehend personelle Betreuung des Wertstoffhofes notwendig, um eine sortenreine Trennung zu gewährleisten.
- Kein zusätzliches Müllaufkommen durch die Wahl der Einlassbändchen.
4. Erkenntnisse & Empfehlungen
- Abfallkonzept im Publikumsbereich und im Backstage-/Produktionsbereich war sehr umfassend und wurde im Publikumsbereich von einem Bildungskonzept begleitet. Insgesamt wurden durch das Abfallkonzept rund 4,9 Tonnen CO₂ eingespart. Dennoch lassen sich auch durch das beste Abfallkonzept die strukturellen Probleme im Bereich Müllentsorgung nicht beheben oder Fehlwürfe komplett vermeiden.
- Publikumsbereich: Ausschließlich das Mitbringen von vollständig recycelbaren Materialien zulassen (z.B. PET-Flaschen), da diese gut gesammelt und gut im Kreislauf geführt werden können. Nicht recycelbare Produkte wie Tetrapacks nicht zulassen. Diese Maßnahmen müssen vorab gut und in der Breite an das Publikum kommuniziert werden. Denn je weniger problematische Materialien auf die Veranstaltung gelangen, desto besser greift das Abfallkonzept.
- Backstage/Produktion: Alle Gewerke sollten vorab genau informiert werden, welche Materialien/Produkte kreislauffähig sind und welche Materialien vermieden werden sollen. Das kann durch individuelle Gespräche, Briefings, Materiallisten, Nachhaltigkeitsgrundsätze etc. geschehen und liegt in der Verantwortung der Veranstaltenden und des Venues. Alle Mitarbeitenden über die Ansprüche an die Abfalltrennung ausreichend informieren. Es bietet sich an, in jedem Gewerk eine feste Ansprechperson für dieses Thema zu haben. Es bietet sich auch an, alle involvierten Gewerke vor Ort für etwaige Rückfragen zum Abfallkonzept mit dem Entsorgungsdienstleister zu verknüpfen.
- Beim Abfallkonzept den Außenbereich vor dem Einlass immer mitdenken und das dortige Abfallaufkommen an Glasflaschen, Pfandflaschen, PET-Flaschen und Tetrapacks nicht unterschätzen. Neben jeder Glastonne sollte auch eine Restmülltonne mit ordentlicher Beschriftung und farblicher Trennung platziert werden.
- Je besser die Abfallstationen im Publikumsbereich und im Backstage-/Produktionsbereich beschriftet sind (durch Schrift, Farben, Piktogramme auf Augenhöhe…), desto besser funktioniert die Mülltrennung.
- Wenn die Abfallstationen personell betreut sind, sinkt die Fehlwurfquote weiter. Es kann sich lohnen, das Abfallkonzept im Publikumsbereich mit einem Bildungskonzept zu kombinieren, wenn dies personell möglich ist. Hier können auch NGOs zur Unterstützung angefragt werden.
- Beim Abfallkonzept auf eine strategisch kluge Positionierung und Sichtbarkeit der Tonnen achten. Zum Beispiel in der Nähe der Gastro-Stände und markiert durch hohe Fahnen.
- Im Gewerbehof: Durchgehende Betreuung gewährleisten, um Fehlwürfe auszuschließen. Wenn kein qualifiziertes Personal vor Ort ist, den Gewerbehof schließen.
- Zigarettenstummel sollten separat gesammelt werden, es gibt dafür am Markt Sammelsysteme mit Gamification-Elementen.
- Abfalltrennung und das Entsorgungssystem in Deutschland sind sehr komplexe Themen. Mehr als die aus Haushalten bekannten Tonnen/Müllfraktionen überfordern die Menschen, zeigt unsere Erfahrung aus dem Projekt. Gleichzeitig führt eine feinere Mülltrennung zu einer besseren Entsorgung und damit zu einer besseren Klima- und Ressourcenbilanz.
- Durch eine Auswertung der Abfallmengen im Anschluss an die Veranstaltung können wichtige Schlüsse für die Verbesserung des Abfallkonzepts bei Folgeveranstaltungen gezogen werden.
- Die Frage, wie viel Abfall aus dem Bereich Gastronomie entsteht, hängt direkt mit der Frage zusammen, wie Speisen und Getränke ausgegeben werden.
- Priorität sollte immer auf einem Mehrwegsystem liegen.
- Mehrwegsysteme für Geschirr müssen sehr frühzeitig und unter Einbeziehung aller Dienstleister*innen geplant werden.
- Eine Art Müllpfand im Gastro-Bereich kann dazu beitragen, die Gastronomie-Stände zur Mülltrennung zu motivieren.
- Zusätzliches Müllaufkommen entsteht oft an Stellen, die man vorab kaum auf dem Schirm hat. Nicht jede gut gemeinte Lösung ist aus Ressourcen- und Klimasicht auch wirklich gut.
- Bei Einlassbändchen aus Papier mit Klebestreifen fällt die Abdeckfolie des Klebestreifens als Müll an. Das muss an den Ausgabestellen mitgedacht und eingesammelt werden, sonst landet dieser Abfall in der Umwelt.
- RFID-Chips in Festivalbändchen sind Elektroschrott und somit Sondermüll – weswegen eine getrennte Sammlung und Aufbereitung notwendig ist.
5. Kontakte Dienstleister*innen
- Entsorgung & Reinigung: Remondis
- 24 Stunden Kompostierungsanlage: Papstar
- Komposttoiletten & Urinale: Finizio
- Forschungsprojekt ZirkulierBar
6. Weitere Inspiration aus der Branche
Das Futur2 Festival in Hamburg (Kapazität 5.000) hat ein striktes Nachhaltigkeitskonzept und produziert – nach dem Aussortieren von recyclingfähigem Material wie Glasflaschen – lediglich 36g Abfall pro Tag pro Besucher*in. Ziel des Festivals ist es, 100 % müllfrei zu werden. Jedoch muss erwähnt werden, dass beim Futur2 Festival kein Campinggelände vorhanden ist und so das Müllaufkommen generell geringer ist als bei mehrtägigen Festivals mit Camping-Bereich.34
Das Roskilde Festival (Kapazität 130.000) verwendet seit 2022 teils vorinstallierte Zelte, um den Abfall zurückgelassener Camping-Ausrüstung zu vermeiden. Zudem werden großangelegte Kommunikationskampagnen wie “Leave No Trace Behind” (Keine Spur zurücklassen) oder “Clean Out Loud Camp” (Sauber & Laut Campingplatz) umgesetzt. Der Fokus liegt auf einfacher und richtiger Entsorgung.35
Der Evangelische Deutsche Kirchentag (Kapazität: circa 300.000) setzt seit den 1980er-Jahren konsequent auf Mehrweg und vermeidet so jährlich 280.000 Einwegplastikbecher, -teller und -besteckteile. Alle eingesetzten Teile sind mit einem Pfandsystem versehen und werden vom Mehrwegdienstleister entweder vor Ort gespült oder zum Hersteller zurück transportiert, wenn der Kirchentag logistisch nah genug am Spülzentrum stattfindet.36