Abfall & Nährstoffmanagement
Abfall & Nährstoff-
management
Inhalt
Das Kapitel „Abfall & Nährstoffmanagement“ von Labor Tempelhof 2022 finden sie hier.
1. Allgemein & Problemstellung
Wusstest du, dass…
… 2022 in Deutschland rund 13 % aller Materialien in Kreisläufen geführt wurden? Für diesen Anteil mussten also keine neuen Rohstoffe gefördert werden. In Ländern mit einer bereits fortgeschritteneren Kreislaufwirtschaft wie den Niederlanden lag die Quote bei 27,5 %.33
Unter den richtigen Bedingungen kann das, was wir heute als Abfall bezeichnen, immer wieder zu Nährstoff werden und somit als Ressource für etwas Neues verwendet werden. Das Problem: Die meisten Produkte heute sind nicht dafür geschaffen, in Kreisläufen zu zirkulieren. Sie werden also irgendwann automatisch zu Müll: ob im Alltag oder auf Großveranstaltungen.
Auf einem Festival entstehen im Schnitt 1,5 Kilogramm Müll pro Person pro Tag. Hochgerechnet auf 80.000 Personen auf einer Wiese erzeugt das riesige Müllberge. Hinzu kommen die noch deutlich größeren und vor Ort unsichtbaren Abfallmengen, die bei der Produktion konventioneller Produkte entstehen und die oft mit weiteren negativen Umweltauswirkungen einhergehen. Auf beide Ströme können Veranstaltende Einfluss nehmen, wobei dies beim vor Ort anfallenden, sichtbaren Abfall einfacher ist. Die sortenreine Trennung und Rückführung dieser Materialien als Ressourcen zurück in den Kreislauf ist die zentrale Aufgabe eines professionellen Entsorgungskonzepts.
Je größer die Veranstaltung, desto größer sind die Umweltauswirkungen aus den Lieferketten der eingesetzten konventionellen Produkte und desto mehr und sichtbarer ist der vor Ort anfallende Abfall – und desto komplizierter ist die Trennung, auch unter Einbeziehung aller Beteiligten, vor und hinter der Bühne. Gleichzeitig ergibt sich hier ein großes Potenzial, Müll zu vermeiden und Abfälle als Ressourcen im Sinne einer Kreislaufwirtschaft zu verstehen.
2. Unsere Messlatte für Labor Tempelhof
Beim Labor Tempelhof wurde versucht, überall wo möglich, Abfall als Nährstoff für etwas Neues zu betrachten und nicht als wertlosen Müll. Das gelingt heute leider noch nicht in allen Bereichen, daher mussten wir uns an dieser Stelle auch mit einem guten Abfallmanagementsystem befassen, um den entstehenden Müll möglichst genau in unterschiedliche Fraktionen trennen zu können.
- So viele kreislauffähige Produkte wie möglich im gesamten Projekt einsetzen: In der Produktion der Konzerte, im Publikumsbereich, aber auch bei den weiteren Projektbausteinen.
- Wo zwangsläufig Abfall entsteht: So trennen, dass Wiederverwendung, Recycling, Kompostierung möglich ist. Müll vermeiden.
- Kreislaufführung von Lebensmittelresten durch Nachnutzung über Food Sharing-Initiative und industrielle Kompostierung.
- Kreislaufführung von Nährstoffen aus festen und flüssigen Reststoffen in den Toiletten, um im Rahmen eines Forschungsprojekts Phosphor-Dünger und Humus herzustellen. (Diese Maßnahme und ihre Umsetzung wird im Kapitel Sanitär & Wasser ausführlicher beschrieben. Sie ist auch hier als Ziel aufgeführt, da die Kreislaufführung von in Kot und Urin enthaltenen Ressourcen in einer ganzheitlichen Betrachtung ebenfalls zum Nährstoffmanagement gehört.)
- Möglichst viele Abfall- und Materialströme bereits vor dem Konzertgelände abfangen, so dass die Komplexität der Trennung auf dem Konzertgelände sinkt. Beispielsweise durch Sammlung von Glas- und PET-Flaschen vor dem Eingang.
- Überall Mehrweggeschirr und -becher mit Pfandsystem, um Einwegabfälle zu vermeiden.
- Sichtbarkeit, Bildung und Gamification: Gut platzierte, sichtbare Abfallstationen mit einfacher und verständlicher Beschilderung und idealerweise spielerischen Elementen. Richtige Trennung soll so einfach wie möglich gemacht werden.
3. Was lief gut, was geht besser?
Entsorgungskonzept Publikumsbereich:
Was lief gut?
- Erstellung eines umfangreichen Entsorgungskonzepts in Zusammenarbeit mit Remondis. Die Trennkategorien im Publikumsbereich unterteilten sich in: Speisereste, Restmüll, Mehrweggeschirr, Mehrwegbesteck sowie separate Behälter für Zigarettenabfälle (Tabak- und E-Zigaretten getrennt).
- Erweiterung des Trennkonzepts auf den Bereich vor dem Konzertgelände, z.B. zusätzlich für Einwegglas (weiß/bunt).
- Initiative Pfandgeben stellt Sammelkästen (sogenannte Pfandinseln) für Leergut vor den Eingängen auf, zur freien Abholung durch Pfandsammler*innen.
- Vorab Kommunikation an das Publikum via Webseite und Ticket, welche Materialien mit auf das Gelände gebracht werden dürfen und welche nicht.
- Bewusstseinsschaffung vor Ort durch 23 betreute Sammelstationen (sogenannte Nährstoffinseln). Freiwillige Botschafter*innen von C2C NGO und der Umsetzungsallianz “mehrweg.einfach.machen” betreuten die Nährstoffinseln in den Stoßzeiten, um Fehlwürfe zu minimieren und das Publikum über die richtige Trennung und das Kreislaufkonzept/C2C-Ziel der Konzerte aufzuklären.
- Mehrwegpfandbecher für Getränke und leere Becher gegen Pfand für die kostenfreien Trinkwasserstationen.
- Briefing des Gastro-Dienstleistenden zum Trennkonzept zur weiteren Kommunikation an die Food-Stände.
Was geht besser?
- Weitere Überarbeitung des Konzepts der Nährstoffinseln für verbesserte Funktionalität und Einbindung in die Geländegestaltung.
- Einheitliche Umsetzung in den vertrauten Farben von Haushaltstonnen.
- Wertstofflogistik noch weiter verbessern, damit verhindert wird, dass Gastro-Abfälle von Anbietenden in Nährstoffinseln abgeladen werden.
- Direkte Kommunikation mit Gastroständen zum Nachhaltigkeitskonzept vor der Veranstaltung verbessern.
- Einbindung und Aufstellung von freiwilligen Initiativen wie “Pfandgeben” besser an die Größe der Veranstaltung anpassen.
- Erreichbarkeit der Behälter/Tonnen für Entsorgungspersonal optimieren.
Entsorgungskonzept Produktion, Gastronomie & Merchandise:
Was lief gut?
- Erstellung eines umfangreichen Entsorgungskonzeptes in Zusammenarbeit mit Remondis. Die Trennkategorien im Backstage-/Produktionsbereich waren:
- Gastronomie: PPK (Papier, Pappe, Karton), Gelber Sack, Glas, Lebensmittelabfälle, Bio-Abfälle, Altfett und Restmüll.
- Produktion: PPK, Gelber Sack, Glas, Elektromüll, Restmüll.
- Merchandise: PPK, Gelber Sack, Restmüll.
- Unmittelbar vor dem Veranstaltungsgelände: PPK, Gelber Sack, Glas (weiß/bunt), Restmüll.
- Gewerbehof vor Ort mit mehreren Müllpressen und durchgehender personeller Betreuung, um eine sortenreine Trennung in den Pressen zu gewährleisten.
- Trennung im Gewerbehof in neun Kategorien:
- Restmüll, Wertstoffe, Bio-Abfälle, PPK, Glas (weiß/bunt), Speisereste, Altfett, kompostierbarer Abfall, Holz.
- Erfassung der Abfall- und Materialströme, anschließende Auswertung und Übersicht durch Remondis.
Was geht besser?
- Plastikverpackungen bei Merchandise weiter reduzieren bzw. gänzlich abschaffen.
- Persönliche Ansprache von Mitarbeitenden in Produktion, Food-Ständen und sonstigen Dienstleistenden zum Trennkonzept statt nur schriftliches Briefing.
- Mehrwegkaffeebecher im Backstage-Bereich wurden teilweise entsorgt oder nicht mehr zurückgebracht (Schwund von knapp 67 %). Stärkerer Fokus auf selbst mitgebrachte Mehrwegbecher oder personalisierte Becher vor Ort.
4. Erkenntnisse & Empfehlungen
- Entsorgungskonzept im Publikumsbereich und im Backstage-/Produktionsbereich war sehr umfassend und wurde im Publikumsbereich von einem Bildungskonzept begleitet. Insgesamt wurden durch das Trennkonzept rund 4,9 Tonnen CO₂ (Zahl von 2022, 2024 folgt) eingespart. Dennoch lassen sich auch durch das beste Abfallkonzept die strukturellen Probleme im Bereich Müllentsorgung nicht beheben oder Fehlwürfe komplett vermeiden.
- Publikumsbereich: Ausschließlich das Mitbringen von vollständig kreislauffähigen Materialien zulassen (z.B. PET), da diese gut gesammelt und gut im Kreislauf geführt werden können. Nicht recycelbare Produkte (z.B. Tetrapacks) nicht zulassen. Diese Maßnahmen müssen vorab gut und in der Breite an das Publikum kommuniziert werden. Denn je weniger problematische Materialien auf die Veranstaltung gelangen, desto besser greift das Entsorgungskonzept.
- Backstage/Produktion: Alle Gewerke sollten vorab genau informiert werden, welche Materialien/Produkte kreislauffähig sind und welche Materialien vermieden werden sollen. Das kann durch individuelle Gespräche, Briefings, Materiallisten, Nachhaltigkeitsgrundsätze etc. geschehen und liegt in der Verantwortung der Veranstaltenden und des Venues. Alle Mitarbeitenden über die Ansprüche an die Trennung ausreichend informieren. Es bietet sich an, in jedem Gewerk eine feste Ansprechperson für dieses Thema zu haben. Es bietet sich auch an, alle involvierten Gewerke vor Ort für etwaige Rückfragen zum Abfallkonzept mit dem Entsorgungsdienstleistenden zu verknüpfen.
- Während der Auf- und Abbauphase fallen Baumaterialien an, die durchaus noch wiederverwertbar sind, aber aus logistischen Gründen oft in den Müll wandern. Hier bietet es sich an, lokale Vereine, Schulen/ Universitäten frühzeitig zu kontaktieren und das Material abholen zu lassen. Es gibt inzwischen Unternehmen, die übrige/alte/ausgebaute etc. Baumaterialien aufkaufen und wieder als Baumaterial verkaufen.
- Beim Entsorgungskonzept den Außenbereich vor dem Einlass mitdenken und das dortige Abfall- und Materialaufkommen an Glasflaschen, Pfandflaschen, PET-Flaschen und Tetrapacks nicht unterschätzen. Neben jeder Glastonne sollte auch eine farblich eindeutig erkennbare Restmülltonne mit ordentlicher Beschriftung platziert werden.
- Sowohl vor dem Einlass als auch beim Verlassen des Geländes lassen sich Abfälle gut beim Publikum einsammeln. Wenn diese Bereiche gut strukturiert und betreut sind, lassen sich Fehlwürfe und Abfälle auf dem Boden gut reduzieren.
- Je besser die Sammelstationen im Publikumsbereich und im Backstage-/Produktionsbereich erkenntlich sind (durch Schrift, Farben, Piktogramme auf Augenhöhe…), desto besser funktioniert die Trennung. Wichtig hierbei: nicht mehr als die aus der Haushaltstrennung bekannten Tonnen und zugeordneten Farb-Codierungen verwenden und unbedingt beibehalten, um die Menschen nicht zu verwirren und zu überfordern.
- Wenn die Sammelstationen personell betreut sind, sinkt die Fehlwurfquote weiter. Es lohnt sich, das Entsorgungskonzept im Publikumsbereich mit einem Bildungskonzept zu kombinieren, wenn dies personell möglich ist. Hier können auch NGOs zur Unterstützung angefragt werden.
- Beim Entsorgungskonzept auf eine strategisch kluge Positionierung, gute Erreichbarkeit und Sichtbarkeit der Tonnen und Beschilderung achten, insbesondere auch bei Dunkelheit am Abend, z.B. in der Nähe der Gastro-Stände und markiert durch hohe Fahnen.
- Im Gewerbehof: Durchgehende Betreuung für die sortenreine Trennung gewährleisten, um Fehlwürfe auszuschließen. Wenn kein qualifiziertes Personal vor Ort ist, den Gewerbehof schließen.
- Zigarettenstummel sollten separat gesammelt werden, es gibt dafür am Markt Sammelsysteme mit Gamification-Elementen.
- Auch E-Zigaretten sollten separat gesammelt und als Sondermüll entsorgt werden.
- Durch eine Auswertung der Abfallmengen im Anschluss an die Veranstaltung können wichtige Schlüsse für die Verbesserung des Entsorgungskonzepts bei Folgeveranstaltungen gezogen werden.
- Die Frage, wie viel Abfall aus dem Bereich Gastronomie entsteht, hängt direkt mit der Frage zusammen, wie Speisen und Getränke ausgegeben werden.
- Priorität sollte immer auf einem Mehrwegsystem liegen.
- Mehrwegsysteme für Geschirr müssen frühzeitig und unter Einbeziehung aller Dienstleistenden geplant werden (speziell bei Veranstaltungen in der Größenordnung der Labor Tempelhof-Konzerte).
- Eine Art Müllpfand im Gastro-Bereich kann dazu beitragen, die Gastronomiestände zur Trennung zu motivieren.
- Zusätzliches Abfallaufkommen entsteht oft an Stellen, die man vorab kaum auf dem Schirm hat. Nicht jede gut gemeinte Lösung ist aus Ressourcen- und Klimasicht auch wirklich gut.
- Bei Einlassbändchen aus Papier mit Klebestreifen fällt die Abdeckfolie des Klebestreifens als Müll an. Das muss an den Ausgabestellen mitgedacht und eingesammelt werden, sonst landet dieser Abfall in der Umwelt.
- RFID-Chips in Festivalbändchen sind Elektroschrott und somit Sondermüll – weswegen eine getrennte Sammlung und Aufbereitung notwendig ist.
5. Kontakte/Dienstleistende
6. Weitere Inspiration aus der Branche
Das Futur2 Festival in Hamburg (Kapazität 5.000) hat ein striktes Nachhaltigkeitskonzept und produziert – nach dem Aussortieren von recyclingfähigem Material wie Glasflaschen – lediglich 36g Abfall pro Tag pro Besuchendem. Ziel des Festivals ist es, 100 % müllfrei zu werden. Jedoch muss erwähnt werden, dass beim Futur2 Festival kein Campinggelände vorhanden ist und so das Müllaufkommen generell geringer ist als bei mehrtägigen Festivals mit Camping-Bereich.34
Das Roskilde Festival (Kapazität 130.000) verwendet seit 2022 teils vorinstallierte Zelte, um den Abfall zurückgelassener Camping-Ausrüstung zu vermeiden. Zudem werden großangelegte Kommunikationskampagnen wie “Leave No Trace Behind” (Keine Spur zurücklassen) oder “Clean Out Loud Camp” (Sauber & Laut Campingplatz) umgesetzt. Der Fokus liegt auf einfacher und richtiger Entsorgung.35
Der Evangelische Deutsche Kirchentag (Kapazität: circa 300.000) setzt seit den 1980er-Jahren konsequent auf Mehrweg und vermeidet so jährlich 280.000 Einwegplastikbecher, -teller und -besteckteile. Alle eingesetzten Teile sind mit einem Pfandsystem versehen und werden vom Mehrwegdienstleistenden entweder vor Ort gespült oder zum Hersteller zurück transportiert, wenn der Kirchentag logistisch nah genug am Spülzentrum stattfindet.36