1. Allgemein & Problemstellung
Wusstest du, dass…
…Deutschland seinen kompletten Energiebedarf problemlos aus regenerativen Quellen decken könnte, und das bei einem naturverträglichen Ausbau? 12
Ohne Energie keine Show – daher ist das Thema von elementarer Bedeutung für Veranstaltungen und gewinnt in Zeiten von Energiekrise, steigenden Kosten und Luftverschmutzung noch mehr an Bedeutung.
Allein aus Kostengründen streben Veranstaltende von Events einen möglichst effizienten Einsatz von Energieträgern an, gleichzeitig orientieren sich künstlerische Visionen oder musikalische Anforderungen nicht immer am Energieverbrauch, der auch logistisch von örtlichen Gegebenheiten abhängt.
Die Herausforderung für die Veranstaltungsbranche: Trotz laufender Energiewende sind erneuerbare Energien momentan teilweise noch teurer als ‘herkömmlicher’ Strom oder schädliche Treibstoffe wie Diesel und Benzin.13 Bei großen Open Air-Veranstaltungen ist es heute die absolute Ausnahme, dass eine Infrastruktur für erneuerbare Energien zur Verfügung steht. Momentan verursacht die deutsche Festivalbranche so jährlich Emissionen von circa 400 Millionen Liter Diesel. 14
Für Veranstaltende und Bands ist das Thema Energietransformation ein bedeutender Hebel und erfordert neben Effizienzanpassungen vor allem die Auseinandersetzung mit erneuerbaren Energieträgern. 15
2. Unsere Messlatte für Labor Tempelhof
Um die Labor Tempelhof-Konzerte möglichst klimapositiv umzusetzen, haben wir diese Aspekte zum Ziel genommen:
- Feststrom in Form von echtem Ökostrom verwenden.
- Energieverbrauch messen und Einsparpotenziale definieren.
- Für alle Geräte, die aus Sicherheitsgründen energieautark sein müssen und daher nicht mit Feststrom betrieben werden können: Batteriespeicherlösungen, möglichst kreislauffähig designt/mit Batteriepass ausgestattet und aufgeladen durch erneuerbare Energien.
- Generatoren nur einsetzen, wenn es unvermeidbar ist. Mit HVO oder anderen alternativen Treibstoffen16 betankt mieten oder selbst befüllen (z.B. autark laufende Sicherheitstechnik).
- Kommunikation mit allen involvierten Gewerken und Crews vor Ort, um Bewusstsein für Energieeffizienz zu schaffen. Kommunikation der ergriffenen Maßnahmen nach innen in das Veranstaltungsteam und nach außen ins Publikum.
3. Was lief gut, was geht besser?
Was lief gut?
- Versorgung des gesamten Veranstaltungsgeländes inklusive Produktions- und Gastronomiebereich mit echtem Ökostrom aus dem Festnetz. Ausnahmen waren sicherheitsrelevante Positionen (Sicherheitsbeleuchtung bzw. Havarie-Aggregat), die aufgrund behördlicher Vorgaben mit einer unabhängigen Stromquelle versorgt werden müssen bzw. Lichtmasten, bei denen eine Festnetzversorgung aufgrund der benötigten Kabelwege von bis zu 1,5 Kilometern unverhältnismäßig war.
- 100 % Verzicht auf Propangas im Gastrobereich.
- Einsatz von HVO (mit 70-90 % weniger CO₂-Emissionen als Diesel, beim Labor Tempelhof liegt die Ersparnis bei ca. 89%) und aufladbaren Akkus bei Lichtmasten und dem Havarie-Aggregat.
Was geht besser?
- Weitere erneuerbare Energiequellen nutzen, wie zum Beispiel langfristig(er) angelegte Energiespeicher, Photovoltaikanlagen, Wind, etc.
- Genauen Energieplan erstellen und messen, wie viel Strom in welchen Bereichen zu welchem Zeitpunkt verbraucht wird. Auf Grundlage dessen weitere Energiesparmaßnahmen und -effizienzen erarbeiten sowie ggf. auch zu verbauendes Material einsparen.
- Ideale Energiespeicherlösungen auf Basis kreislauffähiger Batterien sind heute noch nicht am Markt erhältlich. Allerdings soll dieses strukturelle Problem auf politischer Ebene durch die Batterieverordnung der EU adressiert werden, so dass sich solche Lösungen in den kommenden Jahren durchsetzen könnten.
4. Erkenntnisse & Empfehlungen
- Eine Umstellung auf erneuerbare Energien ist für die Klimabilanz einer der größten direkt beeinflussbaren Hebel. Durch den Umstieg von Dieselgeneratoren auf Ökostrom aus dem Netz konnten wir die CO₂-Emissionen im Bereich Energie um 95 % (Zahl von 2022, Update 2024 folgt) senken.17 Alle Veranstaltenden sollten sich daher frühzeitig mit diesem Thema beschäftigen.
- Bei festen Locations empfiehlt sich die Umstellung auf echten Ökostrom von einem entsprechenden Versorger.
- Bei Standortsicherheit und mehrjähriger Nutzung (z.B. Open Air-Festivals) kann die Verlegung von Feststrom eine sinnvolle mittelfristige Investition sein. Dafür sind ggf. auch öffentliche Fördermittel18 abrufbar.
- Bei einer einmaligen Veranstaltung sollte versucht werden, mit dem Standortinhabenden und Energieunternehmen ins Gespräch zu gehen, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Die temporäre Verlegung von Feststrom, wie im Labor Tempelhof, ist bei einmaliger Anwendung mit einem finanziellen Mehraufwand verbunden, sowohl bezüglich der technischen Umsetzung als auch der materiellen sowie personellen Planung.
- Aufgrund der vielen unterschiedlichen Standortgegebenheiten sollten bei der Planung alle Energieträger individuell berücksichtigt werden.
- Die Umstellung auf Feststrom bedeutet einen erheblichen Mehraufwand durch die Verlegung der entsprechenden Infrastruktur über das gesamte Gelände (Trafostationen, Verlegen von mehreren Kilometern Kabelbrücken, Gerüstbrücken, etc.).
- Die Umstellung auf Feststrom kann Auswirkungen auf einzelne Gewerke haben. Zum Beispiel in der Gastronomie: Eine Friteuse wird mit Gas schneller heiß als mit Strom.
- Vorab die Gewerke über die Umstellung/gegebenen Energiequellen in Kenntnis setzen, um so Feedback zu eventuellen Bedürfnissen und Anforderungen zu erhalten. Geschieht das frühzeitig, können gemeinsam Lösungen gefunden werden.
- Alternative Kraftstoffe wie HVO sind eine gute Übergangslösung, wo Kraftstoff unbedingt notwendig ist.
- Angebotsentwicklung am Markt genau beobachten.
- Bei Locations in der Nähe von HVO-Produzenten ist die Beschaffung einfacher und die Lieferstrecken sind kürzer. Außerdem gibt es bereits Lieferant*innen, die ihre Geräte mit HVO befüllt liefern, das sollte in der Ausschreibung direkt mit bedacht werden. So können auch Restmengen vermieden werden.
- Grüner Wasserstoff: Wasserstoff kann an manchen Stellen und in manchen Regionen eine Alternative zu HVO sein. Das ist davon abhängig, wie hoch der Energieverlust bei der Erzeugung ist (wie viel Energie wird benötigt, um eine bestimmte Menge Wasserstoff zu erzeugen).
- Bildungsprojekte in die Veranstaltung integrieren: Solarbäume als Handyladestationen sind zwar kein wesentlicher Hebel für die Klimabilanz, haben aber einen sehr großen Bildungseffekt. Das gilt auch für Projekte, an denen sich das Publikum aktiv beteiligen kann, wie z.B. die Erzeugung kinetischer Energie durch Fahrräder, die am Hinterrad mit einem Generator bestückt sind oder betanzbare Bodenpaneele.
- Projekte dieser Art vorab bei der Planung berücksichtigen und entsprechende Flächen zur Verfügung stellen.
- Wenn solche Projekte durch Veranstaltende nicht in Eigenleistung erbracht werden können: NGOs, Vereine ins Boot holen, die mit Informationsmaterialien und Freiwilligen vor Ort den Bildungseffekt verstärken können.
- Der Einsatz von Batterien als Speicherlösung – zum Beispiel für Lichtmasten oder Kassensysteme – erfordert eine lange Planungszeit, da ihr Fassungsvermögen begrenzt ist.
- Ladung am Feststrom/Ökostrom.
- Alternativ: Für Batterielösungen frühzeitig mit dem Stromdienstleistenden zur Umsetzung ins Gespräch gehen.
- Auch beim Umstieg auf erneuerbare Energien ist es sinnvoll, die Energie möglichst effizient einzusetzen.
- Genaue Leistungserfassung inklusive Spitzen, um die Energieversorgung gut zu steuern und gegebenenfalls durch Peak Shaving und Laststrom-Management auszugleichen.
6. Weitere Inspiration aus der Branche
Das Futur2 Festival (Kapazität 5.000) in Hamburg konzipiert und skaliert ihr Festival nur so groß, wie es mit erneuerbarer Energie versorgt werden kann. Eine Solaranlage liefert die Energie für die vorhandenen Batteriespeicher, die Bühne wird mit Energie betrieben, die aus Generatoren an feststehenden Fahrrädern stammt: Der Widerstand der Pedale erhöht sich mit dem Energiebedarf der Bühne und macht Energie somit erlebbar und begreifbar. Wenn der Bass einsetzt und die Lichter angehen, wird es schwieriger zu treten.19 Auch Coldplay setzte sich auf ihrer Welttournee 2022 mit dem Thema auseinander: Durch das Tanzen des Publikums auf kinetischen Bodenplatten wurde Energie in Batterien gespeichert und so erfahrbar gemacht, wie Energie entsteht.20 Hier allerdings als Bildungsprojekt und nicht als wesentlicher Teil der Energieversorgung.
Das Shambala Festival (Kapazität 25.000) in Großbritannien beschäftigt sich mit zwei großen Themen: Erneuerbare Energien in jeglicher Form (Zugang zum Stromnetz, Einsatz von Solarenergie, Biokraftstoffen, Batterien und Bio-Flüssiggas) und die Reduktion von eingesetzter Energie und dem konsequenten Monitoring des Verbrauchs. Zwischen 2010 und 2019 hat das Shambala die Emissionen vor Ort um 90 % reduziert, ebenso wie die Anzahl der verwendeten Generatoren von 26 auf 15 in drei Jahren – trotz wachsender Publikumszahlen. Das Festival gibt an, durch eine Mischkalkulation keine zusätzlichen Kosten für Nachhaltigkeitsmaßnahmen zu haben: Treibstoff einzusparen, spart auch Geld. 21
Das Glastonbury Festival22 bezieht den Strom zur Versorgung eines Bereichs seiner Essensstände, seit 2023 von einer 28 m hohen temporären Windturbine, die zusammen mit einem Solarpanel- und Batteriesystem ausgerüstet ist, um überschüssige Energie zu speichern. Auf diese Weise kann täglich bis zu 300 kWh Energie erzeugt werden.