Veranstaltungstechnik & Produktionsmaterialien
Inhalt
Das Kapitel „Veranstaltungstechnik & Produktionsmaterialien“ von Labor Tempelhof 2022 finden Sie hier.




1. Allgemein & Problemstellung
Wusstest du, dass…
… 55 % der globalen Treibhausgasemissionen im Energiesektor entstehen, und die restlichen 45 % durch die Art und Weise, wie wir heute Produkte herstellen und nutzen?51 Wir brauchen neben dem Umstieg auf erneuerbare Energie also eine Kreislaufwirtschaft mit materialgesunden und kreislauffähigen Produkten, um die Pariser Klimaziele zu erreichen.52
Auf einem Festival oder großen Konzerten wird eine immense Menge Material eingesetzt und verbaut. Es geht dabei nicht nur um Kabelbinder und Panzertape, sondern auch um Bühnenteile, Zäune oder Ton- und Lichtsysteme. Die wenigsten dieser Materialien sind heute kreislauffähig im Sinne von Cradle to Cradle. Sie können nicht vollständig recycelt werden und beinhalten oft Substanzen, die sowohl der Umwelt als auch uns Menschen schaden.53
Bei infrastrukturellen Bauten wie Zelten, Bühnen und Absperrgittern ist es für Veranstaltende schwierig, einen direkten Einfluss auf die Materialqualität zu nehmen. Allerdings können zirkuläre Geschäftsmodelle wie Miete oder Leasing zumindest dazu führen, dass solche Teile so lange wie möglich genutzt werden.
Ein weiterer Punkt ist die Entsorgung von Produktionsmaterialien vor Ort. Es gibt teilweise zumindest nachhaltige Alternativen für Produkte wie Kabelbinder oder Tapes – allerdings sind die erforderlichen Sammel- und Trennsysteme dafür noch nicht umfänglich etabliert.
Wann immer es geht, sollte bei Produktionsmaterialien darauf geachtet werden, dass sie keinerlei schädliche Stoffe enthalten und kreislauffähig sind sowie dass sie gemietet und mehrjährig genutzt werden. Werden alternative Materialien eingesetzt, müssen die einzelnen Gewerke für sie und ihre Entsorgung sensibilisiert werden. Auf die Materialqualität können Veranstaltende insbesondere über Kooperationen mit den herstellenden Unternehmen Einfluss nehmen – das ist in der Veranstaltungsbranche jedoch heute noch die Ausnahme.



2. Unsere Messlatte für Labor Tempelhof
Im Labor Tempelhof haben wir versucht, möglichst viele C2C-Produkte einzusetzen und neue Projekte anzustoßen:
- Bei allen beeinflussbaren Materialien wurde versucht, C2C-Qualität zu beschaffen. Alternativ sollten möglichst nachhaltige Produkte bevorzugt werden.
- Durch das Projekt und die Gespräche mit herstellenden Unternehmen Aufmerksamkeit für das Thema kreislauffähige Produktionsmaterialien schaffen.
- Fokus auf Miete und Verleih möglichst lokaler, kreislauffähiger und nachhaltiger Produkte, nur im zweiten Schritt Kauf von Produkten.
- Umfassendes Trenn- und Abfallkonzept für einmalig verwendete Materialien und Sicherstellung des anschließenden Recyclings.
3. Was lief gut, was geht besser?
Bei den Labor Tempelhof-Konzerten 2022 wurde der Prototyp einer Bühne aus C2C-Materialien im Cradle Village ausgestellt. Diese Grafik verdeutlicht den deutlich positiveren Umweltabdruck einer Stahlkonstruktion aus C2C-Materialien gegenüber einer konventionellen Konstruktion.
Bühne
Was lief gut?
- Pilotprojekt: Prototyp einer modularen C2C-Bühne, die nach langer Nutzung in ihre Einzelteile zerlegt und vollständig in die unterschiedlichen Materialkreisläufe zurückgeführt werden kann. Dazu wurden C2C-zertifizierter feuerverzinkter Stahl und eine C2C-zertifizierte Platte (Holz und recycelter Kunststoff) verwendet.
- Alle für den Bühnen-Prototyp eingesetzten Materialien wurden in Qualität und Quantität in einem digitalen Materialpass festgehalten. Er gibt eine Übersicht, was wo verbaut wurde und inwiefern dieses Material wieder für ein neues Produkt zur Verfügung stehen kann.56
Was geht besser?
- Ziel war, eines der beiden erhöhten Podeste für Menschen mit Behinderung aus C2C-Material als Praxistest zu bauen. Das scheiterte am fehlenden zeitlichen Vorlauf für den Sicherheits- und Abnahmeprozesse.
Lautsprechersystem, Licht & Lampen:
Was lief gut?
- Einsatz von 100 % LED-Technik und Verzicht auf Pyrotechnik, Konfetti und CO₂-Streamer bei Die Ärzte.
Was geht besser?
- Einsatz von praxiserprobten, zertifizierten und gebrauchten PA-Systemen und Lautsprechern nicht nur als Bildungsprojekt, sondern auch auf der Hauptbühne. Das war im Rahmen des Labor Tempelhof aufgrund frühzeitig bestehender Verträge nicht möglich.
Sonstige Produktionsmaterialien:
Was lief gut?
- Wiederverwendung des recycelbaren Molton Stoff (B1) aus Pilotprojekt 2022 für Bildungsaktionen im Cradle Village 2024
- Informationsträger wie Banner und Plakate bestanden, wenn möglich, aus C2C-Materialien. Alternativ wurden nachhaltige Materialien wie zum Beispiel PVC-freie Banner verwendet. Es wurde darauf geachtet, möglichst viele der bereits 2022 genutzten Elemente wiederzuverwenden und neue Elemente zu mieten oder selbst herzustellen, statt zu kaufen. Wo möglich, wurden auch Zaunbanner wiederverwendet und nur wo nötig PVC-frei neu produziert.
- Bei der Neuanfertigung von Druckmotiven (z.B. Banner, Hohlkammerplatten) wurde in der Gestaltung nach Möglichkeit die Mehrfachverwendung berücksichtigt und bei den Hohlkammerplatten Recyclingmaterial zur Herstellung verwendet.
- Zur Bewerbung des Projekts wurden im Schriftzug Tempelhof am Veranstaltungsort Buchstaben ausgetauscht, um den Schriftzug “DÄmpelhof” zu erzeugen. Diese Buchstaben wurden aus vollständig kreislauffähigen C2C-Materialien hergestellt.
- Bei den Papier-Einlassbändchen für die Zugangsbereiche Pit 1 und 2 ist eine Lösung gefunden worden, bei der sich die Abdeckfolie des Klebestreifens nicht ablöst und so kein weiterer kleinteiliger Abfall entstanden ist.
Was geht besser?
- Generell: bei allen Materialien auf Materialgesundheit achten und mehr Zeit einplanen, um mit herstellenden Unternehmen in die Diskussion zu gehen.
- Entwicklung bei kreislauffähigen Produktionsmaterialien vorantreiben.
- Angebot von mehr kreislauffähiger Veranstaltungstechnik vorantreiben.



4. Erkenntnisse & Empfehlungen
- Marktmacht nutzen
- Je größer eine Veranstaltung, eine Spielstätte oder ein*e Künstler*in ist, desto größeren Einfluss kann über eine proaktive Beschaffung und frühzeitige Kommunikation oder sogar Kooperation mit Lieferant*innen auf die Qualität verwendeter Produktionsmaterialien genommen werden.
- Dabei priorisieren: Welches Material hat einen großen Anteil und/oder ist besonders umweltschädlich? Hier besonders großen Wert auf Kreislauffähigkeit legen.
- Zeit einplanen
- Eine große Bühne vollständig aus C2C-Materialien zu bauen, kann nur in Kooperation mit dem Dienstleistenden gelingen und muss mehrere Jahre im Voraus geplant und kalkuliert werden. Die dafür benötigten Materialien sind in C2C-Qualität am Markt erhältlich, wie der Prototyp einer C2C-Bühne 2022 gezeigt hat.
- Auch bei kleineren Produkten gilt: Die Suche nach alternativen, unschädlichen Materialien ist zeitaufwändig und sollte in der Projektplanung berücksichtigt werden.
- Praxiserprobte zirkuläre Geschäftsmodelle sind bereits vorhanden und können weiterentwickelt werden.
- Die Miete von verschiedenen Produkten ist ein Schritt hin zu mehr Kreislauffähigkeit und einer langen Verwendung des eingesetzten Materials. Das ist bei mittleren und größeren Produktionsmaterialien mittlerweile auch Standard. Über Kauf sollte hier gar nicht mehr nachgedacht werden.
- Im Gespräch mit Dienstleistenden oder herstellenden Unternehmen können auch gemeinsame Projekte für zirkuläre Geschäftsmodelle bei Produkten umgesetzt werden, wo dies bisher noch nicht der Fall ist, etwa bei Klebebändern.



6. Weitere Inspiration aus der Branche
Das DGTL-Festival (Kapazität: 20.000) richtet seine kreislauffähigen Handlungen nach den “7 R-Prinzip” aus: Umdenken, Ablehnen, Reduzieren, Umfunktionieren, Wiederverwenden, Recyclen, Kompostieren. So konnte das Festival 2022 erstmals 0 Gramm Abfall pro Kopf pro Tag erreichen. Kernelemente sind: Pfandbecher aus Hartplastik und eine groß angelegte Kommunikationskampagne, um das Publikum für die Abfallvermeidung zu sensibilisieren. Materialien werden nicht in Abfalltonnen, sondern in Gitterboxen zur Sichtbarmachung gesammelt. Zudem verdient das Festival daran, Dosen oder saubere mono-flow PET weiter zu verkaufen. Durch einen modularen Bühnenbau und die Anstrengungen der lokalen Produktions-Crew konnten Bauabfälle um 86 % reduziert werden, jegliche eingesetzte Materialien werden in Form einer Flow-Analyse öffentlich dargestellt.54