Veranstaltungstechnik & Produktionsmaterialien
Inhalt
1. Allgemein & Problemstellung
Wusstest du, dass…
… 55 % der globalen Treibhausgasemissionen im Energiesektor entstehen, und die restlichen 45 % durch die Art und Weise, wie wir heute Produkte herstellen und nutzen?53 Wir brauchen neben dem Umstieg auf erneuerbare Energie also eine Kreislaufwirtschaft mit materialgesunden und kreislauffähigen Produkten, um die Pariser Klimaziele zu erreichen.54
Auf einem Festival oder großen Konzerten wird eine immense Menge Material eingesetzt und verbaut. Es geht dabei nicht nur um Kabelbinder und Panzertape, sondern auch um Bühnenteile, Zäune oder Ton- und Lichtsysteme. Die wenigsten dieser Materialien sind heute kreislauffähig im Sinne von Cradle to Cradle. Sie können nicht vollständig recycelt werden und beinhalten oft Substanzen, die sowohl der Umwelt als auch uns Menschen schaden.55
Bei infrastrukturellen Bauten wie Zelte, Bühnen und Absperrgittern ist es für Veranstaltende schwierig, einen direkten Einfluss auf die Materialqualität zu nehmen. Allerdings können zirkuläre Geschäftsmodelle wie Miete oder Leasing zumindest dazu führen, dass solche Teile so lange wie möglich genutzt werden.
Ein weiterer Punkt ist die Entsorgung von Produktionsmaterialien vor Ort. Es gibt teilweise zumindest nachhaltige Alternativen für Produkte wie Kabelbinder oder Tapes – allerdings sind die erforderlichen Sammel- und Trennsysteme dafür noch nicht umfänglich etabliert.
Wann immer es geht, sollte bei Produktionsmaterialien darauf geachtet werden, dass sie keinerlei schädliche Stoffe enthalten und kreislauffähig sind sowie dass sie gemietet und mehrjährig genutzt werden. Werden alternative Materialien eingesetzt, müssen die einzelnen Gewerke für sie und ihre Entsorgung sensibilisiert werden. Auf die Materialqualität können Veranstaltende insbesondere über Kooperationen mit den herstellenden Unternehmen Einfluss nehmen – das ist in der Veranstaltungsbranche jedoch heute noch die Ausnahme.
2. Unsere Messlatte für Labor Tempelhof
Im Labor Tempelhof haben wir versucht, möglichst viele C2C-Produkte einzusetzen und neue Projekte anzustoßen:
- Wir haben uns darauf konzentriert, was wir örtlich beeinflussen konnten. Die Konzerte fanden im Rahmen von Tourneen statt, was dazu führte, dass der Einfluss auf Materialien, die während der gesamten Tour verwendet wurden, begrenzt war. Bestimmte Produktionsmaterialien wie Bühne und PA/Licht waren bereits gebucht/reserviert, als die Entscheidung getroffen wurde, das Labor Tempelhof durchzuführen.
- Bei allen beeinflussbaren Materialien wurde versucht, C2C-Qualität zu beschaffen. Alternativ sollten möglichst nachhaltige Produkte bevorzugt werden.
- Durch das Projekt und die Gespräche mit herstellenden Unternehmen Aufmerksamkeit für das Thema kreislauffähige Produktionsmaterialien schaffen.
- Fokus auf Miete und Verleih möglichst kreislauffähiger und nachhaltiger Produkte, nur im zweiten Schritt Kauf von Produkten.
- Umfassendes Trenn- und Abfallkonzept für einmalig verwendete Materialien und Sicherstellung des anschließenden Recyclings.
3. Was lief gut, was geht besser?
Beim Labor Tempelhof wurden verschiedene Maßnahmen rund um das Thema Materialgesundheit und Kreislauffähigkeit ergriffen:
Bühne
Was lief gut?
- Pilotprojekt: Prototyp einer modularen C2C-Bühne, die nach langer Nutzung in ihre Einzelteile zerlegt und vollständig in die unterschiedlichen Materialkreisläufe zurückgeführt werden kann. Dazu wurden C2C-zertifizierter feuerverzinkter Stahl und eine C2C-zertifizierte Platte (Holz und recycelter Kunststoff) verwendet.
- Alle für den Bühnen-Prototyp eingesetzten Materialien wurden in Qualität und Quantität in einem digitalen Materialpass festgehalten. Er gibt eine Übersicht, was wo verbaut wurde und inwiefern dieses Material wieder für ein neues Produkt zur Verfügung stehen kann.56
Was geht besser?
- Ziel war, eines der beiden erhöhten Podeste für Menschen mit Behinderung aus C2C-Material als Praxistest zu bauen. Das scheiterte am fehlenden zeitlichen Vorlauf für den Sicherheits- und Abnahmeprozesse.
Lautsprechersystem, Licht & Lampen:
Was lief gut?
- Bildungsprojekt: Ausstellung einer PA-Anlage im “Cradle Village”, die vom herstellenden Unternehmen nach der Nutzung zurückgenommen, aufbereitet und wieder auf den Markt gebracht wird. Als Beispiel dafür, wie zirkuläre Geschäftsmodelle eine Kreislaufwirtschaft unterstützen können.
- Einsatz von 100 % LED-Technik und Verzicht auf Pyrotechnik, Konfetti und CO₂-Streamer bei Die Ärzte.
Was geht besser?
- Einsatz von praxiserprobten, zertifizierten und gebrauchten PA-Systemen und Lautsprechern nicht nur als Bildungsprojekt, sondern auch auf der Hauptbühne. Das war im Rahmen des Labor Tempelhof aufgrund frühzeitiger bestehender Verträge nicht möglich.
Sonstige Produktionsmaterialien:
Was lief gut?
- Recyclebarer Molton-Stoff (B1) als Ausstellungsstück im “Cradle Village”. Dieser Molton lässt sich problemlos skalieren.
- Informationsträger wie Banner und Plakate bestanden, wenn möglich, aus C2C-Materialien. Alternativ wurden nachhaltige Materialien wie zum Beispiel PVC-freie Banner verwendet. Es wurde darauf geachtet, möglichst viele dieser Elemente zu mieten oder selbst herzustellen, statt zu kaufen.
- C2C-Sessel aus recyceltem Holz und C2C-zertifiziertem Bezug zur Verwendung im Backstage-Bereich.
Was geht besser?
- Wiederverwendbare Kabelbinder: Aus praktischen Gründen waren diese auf dieser großen Veranstaltung nicht umsetzbar.
- Generell: bei allen Materialien auf Materialgesundheit achten und mehr Zeit einplanen, um mit herstellenden Unternehmen in die Diskussion zu gehen.
4. Erkenntnisse & Empfehlungen
- Marktmacht nutzen
- Je größer eine Veranstaltung, ein Venue oder ein*e Künstler*in ist, desto größeren Einfluss kann auf die Qualität verwendeter Produktionsmaterialien genommen werden.
- Dabei priorisieren: Welches Material hat einen großen Anteil und/oder ist besonders umweltschädlich? Hier besonders großen Wert auf Kreislauffähigkeit legen.
- Zeit einplanen
- Eine große Bühne vollständig aus C2C-Materialien zu bauen, kann nur in Kooperation mit dem Dienstleister gelingen und muss mehrere Jahre im Voraus geplant und kalkuliert werden. Die dafür benötigten Materialien sind in C2C-Qualität am Markt erhältlich.
- Auch bei kleineren Produkten gilt: Die Suche nach alternativen, giftstofffreien Materialien ist sehr zeitaufwändig und sollte in der Projektplanung berücksichtigt werden.
- Praxiserprobte zirkuläre Geschäftsmodelle sind bereits vorhanden und können weiterentwickelt werden.
- Die Miete von verschiedenen Produkten ist ein Schritt hin zu mehr Kreislauffähigkeit und einer langen Verwendung des eingesetzten Materials. Das ist bei mittleren und größeren Produktionsmaterialien mittlerweile auch Standard. Über Kauf sollte hier gar nicht mehr nachgedacht werden.
- Im Gespräch mit Dienstleister*innen oder herstellenden Unternehmen können auch gemeinsame Projekte für zirkuläre Geschäftsmodelle bei Produkten umgesetzt werden, wo dies bisher noch nicht der Fall ist, etwa bei Klebebändern.
- In unserem Fall waren die Konzerte Teil von Tourneen, in deren Rahmen zahlreiche Verträge schon geschlossen waren. Das hat den Handlungsspielraum speziell bei tourseitig organisierten Produktionsmaterialien eingeschränkt.
6. Weitere Inspiration aus der Branche
Das DGTL-Festival (Kapazität: 20.000) richtet seine kreislauffähigen Handlungen nach den “7 R-Prinzip” aus: Umdenken, Ablehnen, Reduzieren, Umfunktionieren, Wiederverwenden, Recyclen, Kompostieren. So konnte das Festival 2022 erstmals 0 Gramm Abfall pro Kopf pro Tag erreichen. Kernelemente sind: Pfandbecher aus Hartplastik und eine groß angelegte Kommunikationskampagne, um das Publikum für die Abfallvermeidung zu sensibilisieren. Materialien werden nicht in Abfalltonnen, sondern in Gitterboxen zur Sichtbarmachung gesammelt. Zudem verdient das Festival daran, Dosen oder saubere mono-flow PET weiter zu verkaufen. Durch einen modularen Bühnenbau und die Anstrengungen der lokalen Produktions-Crew konnten Bauabfälle um 86 % reduziert werden, jegliche eingesetzte Materialien werden in Form einer Flow-Analyse öffentlich dargestellt.57