1. Allgemein & Problemstellung
Wusstest du, dass…
…Europa nahezu 100 % des Bedarfs an Phosphor zur Herstellung von Düngemitteln für die Landwirtschaft importieren muss?44 Gleichzeitig muss jeder Mensch täglich mehrere 100 Milligramm Phosphor aufnehmen und wieder ausscheiden.45 Unser Urin enthält also einen wertvollen Rohstoff.
Im Veranstaltungskontext – gerade bei Festivals auf dem freien Feld – ist das Thema Sanitär mit einem enormen logistischen Aufwand verbunden. Gleichzeitig ist der Umgang mit sanitären Anlagen und den Nährstoffen, die darin anfallen, ein niedrigschwelliger und großer Hebel für eine ressourcenpositive Kreislaufwirtschaft:
Jede Toilettenart (ob mobile Toiletten, Vakuumtoilette, Komposttoilette, wassergespülte Toilette oder Urinale) bietet das Potenzial, Phosphor und andere Nährstoffe zurückzugewinnen und im Kreislauf zu halten. Je weniger unsere Ausscheidungen dabei verdünnt werden, desto effektiver kann das Recyclingpotenzial gehoben werden. Trockentoiletten bieten die optimalsten Voraussetzungen, um Nährstoffe zu recyceln und gleichzeitig Schad- und Spurenstoffe wie Medikamente und Krankheitserreger aus dem Verkehr zu ziehen.
Wasser ist bereits heute eine knappe Ressource, um die es weltweit Verteilungskämpfe gibt und die auch in Europa zunehmend rationiert46 wird. Bei Veranstaltungen wird Wasser unter anderem in Toilettenspülungen, Handwaschbecken, im Gastro-Bereich und in Duschen verbraucht und fließt üblicherweise als Schmutzwasser ab. Bisher findet dabei keine Kreislaufführung statt. Das kann verändert werden, indem Schwarz- oder Grauwasser durch die richtige Infrastruktur und Aufbereitung wieder nutzbar gemacht werden und indem Regenwasser statt Leitungswasser eingesetzt wird.
In der Diskussion über Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft stehen Nährstoffströme wie Phosphor- oder Stickstoffkreisläufe oft nicht im Fokus. Veranstaltungen sind ein ideales Format, um dies zu ändern und innovative und zukunftsfähige Lösungen umzusetzen.
2. Unsere Messlatte für Labor Tempelhof
Beim Labor Tempelhof wurden unterschiedliche Ziele für den Umgang mit Wasser und die Kreislaufführung von Nährstoffen aus festen und flüssigen Reststoffen aus Toiletten gesetzt:
- Alle Toiletten als Nährstoffquelle betrachten und überlegen, wie und mit welchen Dienstleistenden menschliche Fest- und Flüssigstoffe aus Toiletten bestmöglich aufgefangen, getrennt, zu Nährstoffen und Düngemitteln verarbeitet und so wiederverwertet werden können.
- Strukturellen Wandel vorantreiben, durch die Unterstützung und Umsetzung von Pilotprojekten für die Aufarbeitung angefallener Nährstoffe und deren weitere Verwendung.
- Wasser nutzen statt verbrauchen: Anfallendes Grauwasser aus dem Sanitär- und Gastrobereich aufbereiten und für die weitere Nutzung auf dem Gelände verfügbar machen.
- Kommunikative Anreize setzen: Über Wasser- und Nährstoffkreisläufe im Sanitärbereich informieren und Berührungsängste des Publikums in Bezug auf neue Toilettenarten wie Komposttoiletten durch spielerische Elemente abbauen.
- Bildungskonzepte zum Umgang mit Nährstoffen und Ressourcen und zur Aufbereitung von Flüssig- und Feststoffen vor Ort anbieten.
- Mitdenken von sozialer Nachhaltigkeit und Diversität: Separate Urinale für FLINTA* anbieten.
3. Was lief gut, was geht besser?
Beim Labor Tempelhof wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen, um den Bereich Wasser und Sanitär möglichst im Sinne einer Kreislaufwirtschaft nach Cradle to Cradle auszurichten.
Toiletten
Was lief gut?
- Erhöhung der Zahl der Trockentoiletten auf insgesamt 255 Toiletten von 150 bei den Konzerten 2022.
- 2024 benötigten wir aufgrund der höheren Anzahl an Trockentoiletten keine wassergespülten Toiletten im Publikumsbereich. Ausnahme waren zwei wassergespülte Toiletten für Menschen mit Behinderung je an den erhöhten Podesten und ein Teil wassergespülter Toiletten im Backstage.
- 100 % kreislauffähiges C2C-Toilettenpapier, das auch in den Trockentoiletten einsetzbar ist.
- Insgesamt wurden in den Komposttoiletten und Urinalen rund 23.000 Liter Feststoffe und 35 m³ Urin gesammelt. Daraus entstanden knapp 3.000 Liter NPK-Flüssigdüngerkonzentrat und 24.500 Kilo H.I.T.-Dünger.
- Bildungsprojekt “P-Bank”: Eine mobile, wassergespülte Toilette, die über Phosphor Recycling und den Weg vom Urin zum Düngemittel aufklärt.
- Bildungsprojekt “Phosphor-Meter”: Spielerische Aufklärung zur Urinaufbereitung, bei der man mit Kronkorken abstimmen kann, wofür man den Dünger aus dem eigenen Urin gerne einsetzen würde.
Was geht besser?
- 100 % Kreislaufführung bei allen Toiletten. Nicht nur bei Komposttoiletten und Mobiltoiletten, sondern auch bei den wassergespülten Toilettencontainern sowie allen Urinalen.
- Noch intensivere Kommunikation und Erklärung des Konzepts und der Nutzung von Komposttoiletten.
- Frauenurinale konnten leider nicht angeboten werden.
- Politischer Druck nötig zur Änderung der Düngemittelverordnung und des Abfallrechts, um den erhaltenen Dünger auch außerhalb eines Forschungsprojekts ausbringen zu dürfen.
Wasser
Was lief gut?
- Einsparung von 99 Millionen Liter Wasser (Zahl von 2022, 2024 folgt). In diese Berechnung flossen die Lieferketten von Produkten und Dienstleistungen mit ein. Ein Großteil der Einsparungen gegenüber einem konventionellen Konzert ist auf das vegan-vegetarische Speisenangebot zurückzuführen.
- Kostenloses Trinkwasser für Publikum und Produktion an sechs Ausgabestellen.
- Bereitstellung eines Prototypen des Phantor: Einer Maschine, die aus der Umgebungsluft bis zu 10.000 L Trinkwasser täglich filtern kann. Das so gewonnene Wasser aus der Berliner Luft haben wir in eine Trinkwasserstation eingespeist und den Besuchenden verfügbar gemacht.
- 2024 benötigten wir aufgrund der höheren Anzahl an Trockentoiletten keine wassergespülten Toiletten im Publikumsbereich. Ausnahme waren sowohl wassergespülte Toiletten für Menschen mit Behinderung je an den erhöhten Podesten und in den Außenbereichen von den Einlässen, als auch ein Teil wassergespülter Toiletten im Backstage.
Was geht besser?
- Grauwasser aus dem Sanitär- und Gastrobereich durch Aufbereitung wieder nutzbar machen.
Sonstiges
Was lief gut?
- C2C-Toilettenpapier auf den Komposttoiletten.
- Einsatz von C2C-zertifizierten Reinigungsmitteln im Flughafengebäude.
- Die Urinale und die klappbaren Komposttoiletten benötigen weniger Ladekapazität als Toiletten-Container und mobile Toiletten und sparen somit Transportemissionen ein.
Was geht besser?
- Es gibt immer Luft nach oben, aktuell haben wir innerhalb der uns vorgenommenen Messlatte (noch) keine konkreten Maßnahmen zur Verbesserung identifiziert.
4. Erkenntnisse & Empfehlungen
Toiletten
- Komposttoiletten sind eine sehr gute Alternative zu wassergespülten oder mobilen Toiletten und ermöglichen die einfache Sammlung und Trennung von Reststoffen.
- Die Angebotslage bei Komposttoiletten oder auch FLINTA*-Urinalen ist heute noch begrenzt. Daher sollten Bedarfe früh gesichert werden – insbesondere bei Großveranstaltungen.
- Komposttoiletten sind aktuell noch nicht ausreichend in der Breite bekannt. Es braucht also entsprechend Kommunikation, Aufklärung und Anleitung über das Konzept und die Nutzung.
- Düngemittel aus menschlichen Fäkalien dürfen laut Düngemittelverordnung momentan nur im Rahmen von Forschungsprojekten in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Risikostudien zeigen, dass der Einsatz bei einer richtigen Handhabung ungefährlich für Mensch und Umwelt ist.
- Die Kooperation von Veranstaltenden mit solchen Projekten kann zum einen Aufmerksamkeit für das Thema Nährstoffkreisläufe in der Landwirtschaft wecken. Zum anderen kann über weitere positive Forschungsergebnisse der Druck auf die Politik hin zu einer Gesetzesänderung erhöht werden.
- Mobile Toilettenkabinen haben einen schlechten Ruf, was ihre Umweltbilanz betrifft. Aber auch sie können dazu beitragen, Nährstoffkreisläufe zu schließen.
- Mobile Toilettenkabinen können, je nach Nutzungsdauer, gegebenenfalls auch ohne chemische Zusätze auskommen. Zum Beispiel bei kurzen Veranstaltungen.
- Wenn chemische Zusätze benötigt werden: Auf biologisch abbaubare Zusätze zurückgreifen.
- Inhalte der Mobiltoiletten können an Klärwerke umgeleitet werden, die bereits heute Phosphor aus Klärschlamm zurückgewinnen.
- Die Rückgewinnung von Phosphor ist dann besonders effektiv, wenn der Urin getrennt gesammelt wird – zum Beispiel in Urinalen oder wenn in Komposttoiletten Kot und Urin getrennt gesammelt werden.
- Heute liegt der Fokus bei Urinalen in der Regel auf Urinalen für Männer. Hier wird also das Potenzial, Urin von FLINTA*-Personen zu sammeln und im Kreislauf zu führen, verschenkt.
- FLINTA*-Urinale sind als Produkt noch relativ unbekannt. Je nachdem, wie einfach und komfortabel die Anwendung ist, steigt auch die Akzeptanz. Auch eine gute Kommunikation und Anwendungshinweise können hier unterstützen.
Wasser
- Die kostenlosen Trinkwasserstellen wurden gut und dankbar durch das Publikum angenommen.
- Eine flächendeckende Versorgung mit Trinkwasser im gesamten Produktionsbereich muss frühzeitig geplant werden.
- Es muss sichergestellt sein, dass das vorhandene Leitungswasser als Trinkwasser eingesetzt werden kann und dass eine entsprechende Infrastruktur zur Verteilung des Wassers vorhanden ist oder errichtet wird.
- Wenn für die gesamte Produktion Trinkwasserstellen angeboten werden können, sollte das mit der Aufforderung einhergehen, eigene Trinkflaschen mitzubringen. Alternativ kann ein Mehrwegbechersystem angeboten werden. Dann muss zusätzlich die Spüllogistik sichergestellt sein.
- Sensibilisierung für das Thema Wasserressourcen und Kreisläufe.
- Innovative Lösungen, wie der Phantor – ein Gerät, das mit erneuerbarer Energie betrieben wird und bis zu 10.000 Liter Trinkwasser pro Tag aus der Umgebungsluft filtert.
- Regenwasser fällt kostenlos vom Himmel und ist ein guter Weg, den Frischwasserverbrauch beispielsweise für die Spüllogistik oder Toilettenspülungen zu senken.
- Die Herausforderungen bestehen vor allem in der Infrastruktur (Sammlung, Aufbereitung, Verteilung und der weiteren Kreislaufführung).
- Je nach Verschmutzungsgrad des Regenwassers (auch abhängig von der Sammelstelle) braucht es Reinigungssysteme, beispielsweise Osmosefilter.
- Insbesondere bei wiederkehrenden Veranstaltungen und in festen Locations lohnt sich die Investition in ein solches System, weil insgesamt weniger Frischwasser benötigt wird.
- Zu beachten ist die rechtliche Situation, insbesondere die Vorgaben der Trinkwasserverordnung. Diese regelt unter anderem die Qualität und Sicherheit von Wasser, das in Berührung mit Personen oder Gegenständen kommt, die hygienerelevante Bereiche betreffen. Entsprechende Maßnahmen zur Regenwassernutzung sollten daher den geltenden Standards und Vorschriften entsprechen.
- Um den absoluten Wasserbedarf zu senken, können auch Strahlregler an Wasserhähnen und Duschköpfen sowie Stopptasten bei den Toilettenspülungen sinnvoll sein.
Sonstiges
- Wasserknappheit ist heute in weiten Teilen der Bevölkerung ein bekanntes Thema. Bei der Kreislaufführung von Reststoffen aus Toiletten ist das anders.
- Beide Themen können durch Gamification-Elemente oder spielerische Formate wie Quizze einfach vermittelt werden. Wenn das Publikum aktiv beteiligt wird, setzt es sich tiefer mit einem Thema auseinander. Im Labor Tempelhof kamen diese Konzepte sehr gut an.
- Wir haben aus Sicherheitsgründen davon abgesehen, das Mitbringen von nachfüllbaren Flaschen durch das Publikum zuzulassen.
- Insbesondere bei kleineren Veranstaltungen sollte darüber aber durchaus nachgedacht werden, um das Müllaufkommen vor Ort zu senken und dennoch die Möglichkeit zu bieten, Trinkwasser abzufüllen.
5. Kontakte/Dienstleistende
- Komposttoiletten & Urinale: Finizio
- Wassergespülte Toiletten & Urinalrinnen: FKP Eventservice
- Mobile Toiletten: Wölkchen
- P-Bank: Werkhaus
- Sammlung und Aufbereitung menschliche Fest- und Flüssigstoffe zu Humus und Dünger: Finizio im ZirkulierBar Projekt
- Toilettenpapier: WEPA
- Reinigungsmittel: Dr. Schnell
- Phosphor-Meter: Teams Hamburg
- Phantor: Imhotep Industries
6. Weitere Inspiration aus der Branche
Auch andere Veranstaltungen und Festivals setzen sich mit dem Thema Sanitär und Wasser auseinander:
Das Nachhaltigkeitskonzept des Boom Festivals (Kapazität: 40.000) aus Portugal enthält 12 Kategorien, darunter einen großen Fokus auf das Thema Wasser(knappheit) und Sanitär: Das Festival investierte in zwei fest installierte biologische Wasseraufbereitungsanlagen, wovon eine bis zu 7 Millionen Liter Wasser filtern kann. Alle Toiletten sind wasserlos und das in Handwaschbecken und Duschen entstehende Grauwasser wird aufbereitet. Der Kompost der Toiletten (den eine lokale Universität mit dem Gütesiegel A++ bewertete und also für Bio-Landwirtschaft eingesetzt werden könnte) wird verwendet, um das angrenzende Land zu düngen. Die Duschen und Wasserstellen sind nur zu bestimmten Öffnungszeiten bei niedrigem Wasserdruck verfügbar.
Plant A Seeed – ein wissenschaftliches Gemeinschaftsprojekt von The Changency und der Hochschule für Technik Berlin bei 5 ausverkauften Konzerten der Band Seeed in der Berliner Wuhlheide (Kapazität: 17.000) setzte eine Wasserbar von Water Is Right ein, wodurch allein im Produktionsbereich an 5 Tagen 2.800 Plastikflaschen eingespart werden konnten.
Das Publikum des dänischen Roskilde Festivals (Kapazität: 130.000) stellte die Hauptzutat ihres “Pisner-Biers” einfach selbst her: Auf dem Festival wurde Urin gesammelt und daraus Dünger produziert. Damit wurde die Gerste gedüngt, aus der im Anschluss das Bier für das Festival gebraut wurde.47