1. Allgemein & Problemstellung
Wusstest du, dass…
…2019 auf den 5 größten Festivals Deutschlands lediglich 10,2 % der Headline-Slots einen Frauenanteil hatten?37
Mentale Gesundheit, Diversität, Barrierefreiheit und Awareness sind nicht nur gesellschaftlich relevante Themen sondern gewinnen auch im Veranstaltungskontext immer mehr an Bedeutung:
Die Möglichkeiten der Verbesserung sind vielfältig, egal ob im Bereich Schutz von Arbeitnehmer*innen, Sichtbarkeit marginalisierter Personen auf der Bühne, Einhaltung von Menschenrechten in den Lieferketten eingesetzter Produkte oder Inklusion und gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Weitere soziale Aspekte können sein: ein Veranstaltungsmanagement, das Verantwortung für sein Publikum übernimmt und ein entsprechendes Awareness-Konzept umsetzt, sowie die Wertschöpfung für den Standort erhöht durch Einbezug der regionalen Unternehmen und Initiativen.
Momentan gibt es noch keinen Code Of Conduct oder Leitfaden zur Durchführung einer möglichst sozial nachhaltigen Veranstaltung, es ist den jeweiligen Veranstaltenden selbst überlassen, welche Maßnahmen über gesetzliche Mindeststandards hinaus umgesetzt werden.
Fazit: Egal wie groß eine Veranstaltung ist, der Einbezug von sozialen Aspekten muss immer erfolgen.
2. Unsere Messlatte für Labor Tempelhof
Eine Veranstaltung mit einem durchdachten Nachhaltigkeitskonzept beinhaltet immer auch die soziale Nachhaltigkeit:
- Ganzheitliches Inklusionskonzept erstellen: Kann nur gemeinsam mit Menschen mit Behinderung erarbeitet werden. Im Idealfall als Teil des Kernteams.
- Awareness-Konzept vor Ort für Publikum und im Backstage-Bereich.
- Transparente Informationen zu den ergriffenen Maßnahmen und dazu, in welchen Bereichen noch Barrieren abgebaut werden können.
- Kostenloses Trinkwasser für alle.
- Berücksichtigung von Diversität auf und hinter der Bühne.
- Selbstverständlich: Kein Platz für Rassismus, Faschismus, Sexismus, Homo- oder Transphobie oder Anti-Semitismus und dies offen kommunizieren sowie eine Infrastruktur bereitstellen für den Umgang mit möglichen Vorfällen vor Ort.
3. Was lief gut, was geht besser?
Beim Labor Tempelhof wurden verschiedene Maßnahmen für soziale Nachhaltigkeit ergriffen:
Barrierefreiheit
Was lief gut?
- Sensibilisierung des Projektteams durch eine Basisschulung der Initiative Barrierefrei Feiern (IBF) sowie fortlaufender Austausch, um möglichst viele Aspekte der Barrierefreiheit vor und während der Veranstaltung zu berücksichtigen.
- Vor der Veranstaltung wurde mithilfe einer eigens eingerichteten E-Mail-Adresse (barrierefrei@loft.de) sowie einem ausführlichen Barrierefreiheits-FAQ so gut wie möglich über die Barrierefreiheit der Veranstaltung informiert.
- Ausreichend Parkplätze für Menschen mit Behinderung sowie barrierefreie Einlässe mit gebrieftem Personal.
- Ansprechpersonen für Menschen mit Behinderung vor Ort mit bis zu vier Mitarbeitenden der Initiative Barrierefrei Feiern.
- Zwei zusätzlich durch die Initiative Barrierefrei Feiern betreute Kommunikationskanäle während der Konzerte: eine Hotline und eine WhatsApp-Gruppe für die Kommunikation vor Ort.
- Barrierefreie Toiletten, erhöhte Podeste und eine gewisse Anzahl an Tribünen-Sitzplätzen ausschließlich für Menschen mit Behinderung.
- Barrierearme Gestaltung der Webseiten zu Labor Tempelhof und des Guidebooks, u. A. durch die Auswahl der Farben und Schriften, Seitenstrukturierung und Responsiveness.
Was geht besser?
- Menschen mit Behinderung dauerhaft in das Kernteam einbinden, um die internen Prozesse langfristig inklusiv zu gestalten.
- Noch umfangreichere Maßnahmen umsetzen (z. B. Barriefreiheits-FAQ in Leichter Sprache).
- Bessere Ausschilderung vor Ort (insbesondere barrierefreier Einlass/Auslass).
- Mehr Gewerke im Vorfeld für die soziale Dimension und das Thema Barrierefreiheit sensibilisieren. Beispielsweise durch Schulungen oder Workshops, insbesondere das Security Personal.
Anti-Diskriminierung und Awareness
Was lief gut?
- Umsetzung des Awareness-Konzepts “Wo geht’s nach Panama?” 38 – als Anlaufstelle vor Ort für Besucher*innen, die übergriffiges Verhalten, Belästigungen oder anderes unangebrachtes Verhalten erfahren.
- Umfassendes mündliches und schriftliches Briefing aller örtlichen Gewerke und Einbindung von Gastronomie, Sicherheitspersonal und Produktion.
- Information für das Publikum über Awareness-Konzept vor Ort über zahlreiche Informationsplakate.
Was geht besser?
- Berücksichtigung eines diversen Lineups (Support-Acts) – beim Labor Tempelhof standen leider keine der angefragten FLINTA*-Bands zur Verfügung.
- Die Mitarbeitenden, die Teil des Awareness-Konzeptes waren, besser kennzeichen.
- Vernetzung zwischen den Teams Awareness und Inklusion sicherstellen.
Sonstiges
Was lief gut?
- Kostenloses Trinkwasser an sechs Ausgabestellen für Publikum und Produktion.
- NGOs (teils als Teil der Tour) vor Ort: Viva Con Agua, Oxfam, Mission Lifeline, Sea Watch, Kein Bock auf Nazis.
- Gästelistenspenden an zwei verschiedene NGOs.
- Einhaltung der gesetzlichen Standards zu Arbeits- und Pausenzeiten, u. a. durch einen Arbeitsschutzbeauftragten.
4. Erkenntnisse & Empfehlungen
- Rund um das Thema Barrierefreiheit wurden mehr als 1.000 direkte Besucher*innen-Kontakte vor Ort sowie mehr als 1.000 Anfragen per E-Mail oder Telefon vor dem Event registriert.
- Ausreichend Vorlaufzeit und ausreichend Personal für das Barrierefreiheitsteam einplanen.
- Bei der Personalplanung bedenken, dass der Großteil der Anfragen kurz vor der Veranstaltung eingeht.
- Die Armbänder, die zur Kennzeichnung der Awareness-Personen verwendet wurden, waren vor allem bei Regen häufig durch die Kleidung verdeckt.
- Über Alternativen nachdenken, wie z. B. Buttons oder Aufkleber.
- Über Alternativen nachdenken, wie z. B. Buttons oder Aufkleber.
- Berücksichtigung von regionalen Wertschöpfungsketten vor allem bei Großveranstaltungen aufgrund von fehlender Skalierbarkeit schwierig.
- Insbesondere bei kleineren Veranstaltungen ist es einfacher mit regionalen Partner*innen zusammenzuarbeiten.
- Insbesondere bei kleineren Veranstaltungen ist es einfacher mit regionalen Partner*innen zusammenzuarbeiten.
- Viele Menschen können sich Eintrittspreise für Kulturveranstaltungen nicht leisten.
- Die Teilhabe kann unabhängig vom Einkommen durch sogenanntes social ticketing ermöglicht werden.
- Die Teilhabe kann unabhängig vom Einkommen durch sogenanntes social ticketing ermöglicht werden.
- In der Musikbranche wird Barrierefreiheit oftmals nur sehr eng definiert. Zum Beispiel, indem die Teilhabe von Menschen mit einer sichtbaren Behinderung ermöglicht wird (Rollstuhlfahrende).
- Denkt über diesen Tellerrand hinaus. Es gibt zum Beispiel bereits Erfahrungen mit dem Einsatz von Gebärdendolmetscher*innen bei Veranstaltungen.
- Ein weiterer Ansatz ist, Informationen auf Webseiten für Veranstaltungen für sehbehinderte Menschen zugänglich zu machen.
- Das Thema Inklusion insgesamt auch durch Bands/Künstler*innen auf der Bühne ansprechen.
5. Kontakte Dienstleister*innen
- Konzept Barrierefreiheit: Initiative Barrierefrei Feiern; Inklusion muss laut sein
- Awareness Konzept: FKP Scorpio: Wo geht’s nach Panama?
- NGO vor Ort: Viva Con Agua
- NGO vor Ort: Mission Lifeline
- NGO vor Ort: Sea Watch
- NGO vor Ort: Oxfam
- NGO vor Ort: Kein Bock auf Nazis
- NGO vor Ort: C2C NGO Ehrenamt
6. Weitere Inspiration aus der Branche
Das PULS Open Air (Kapazität 12.000) auf Schloss Kaltenberg setzt seit der ersten Ausgabe 2016 einen Schwerpunkt auf Inklusion: Das Veranstaltungsteam wurde im Rahmen von Fortbildungen geschult und hat gemeinsam mit Expert*innen der Initiative Barrierefrei Feiern ein Barrierefreiheits- und Inklusionskonzept für das Festival erstellt und umgesetzt. Es reicht vom Ticketkauf über die Webseite und dort detailliert bereitgestellte Informationen zur Anreise und dem Gelände und seinen Gegebenheiten (Parkplätze, Camping) bis hin zur persönlichen Unterstützung vor Ort. Alles bei dem Festival ist möglichst barrierefrei gestaltet. Das PULS Open Air achtet daneben zudem auf ein ausgewogenes Lineup, bei dem zuletzt über 50 % der Acts weibliche Beteiligung hatten.39
Die Band Kochkraft durch KMA und das Label Ladies&Ladys haben als kreative Antwort auf das seit Jahren männlich-dominierte Lineup großer deutscher Musikfestivals einen Sampler namens “Cock Am Ring” veröffentlicht. Hierauf covern 24 Acts (mit großem FLINTA*-Anteil) die Songs der Männerbands, die im Lineup von “Rock Am Ring” zu finden sind oder waren.40